Rede von Jürgen Grässlin
zum Antikriegstag in Freiburg
am 2. September 2019, 17:30 Uhr
am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, vor nunmehr achtzig 80 Jahren überfielen deutsche Truppen Polen. Sie gaben damit den Startschuss zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. In der Folge starben rund 60 Millionen Menschen. Diese Zahl erhöht sich auf rund 80 Millionen, wenn wir diejenigen Menschen hinzuzählen, die ihr Leben aufgrund der Kriegsfolgen sowie durch gezielte Ermordung verloren – allen voran genannt seien die sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Die Lehren, die die Menschheit aus diesem bislang schlimmsten aller Kriege ziehen muss, ist die Losung der überlebenden Häftlinge im KZ Buchenwald vom Mai 1945: è „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ Anlässlich dieses historisch bedeutenden Gedenktages will ich zu folgenden – leider sehr aktuellen – Themenbereichen sprechen: kurz zur Frage des atomaren Overkills, zur EU-Aufrüstung, zu Rüstungsexporten und zur Rolle der Freiburger Firma Northrop Grumman LITEF auf den Schlachtfeldern der Welt. 1. Atomwaffen weltweit verbieten! Lasst mich kurz über die Problematik der Atomwaffen sprechen – kurz, denn der DGB-Vorsitzende Werner Siebler wird ausführlicher auf diese Problematik eingehen. Zu den Getöteten des Zweiten Weltkriegs gehörten auch die Opfer der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki durch die US-Air Force. Heute wird die Zahl der Opfer auf rund 200.000 Tote allein in Hiroshima geschätzt. „Ungezählte“ Menschen erlitten die Schädigung ihres Erbgutes. Was folgte, war jedoch nicht die Abkehr vom Schrecken der atomaren Bedrohung. Was realiter folgte, war eine nie gekannte Hochrüstung mit konventionellen und mit atomaren Waffen, die die Menschheit in der Ära des sogenannten „Kalten Krieges“ wiederholt an den Rand ihrer Existenz führte. Noch immer gibt es 15.000 Atomwaffen gibt. Allein 1.800 davon befinden sich in höchster Alarmbereitschaft. In Europa lagern 180 Atomwaffen, in Büchel in der Eifel 20 Atomwaffen auf deutschem Boden. Schlimmer noch: Am 2. August diesen Jahres außer Kraft gesetzt. Erst kündigte der amtierende US-Präsident Donald Trump den INF-Vertrag, der die Abschaffung atomarer Mittelstreckenraketen bewirkte. Wenige Tage danach folgte Russlands Ausstieg aus dem Vertragswerk. Zurzeit dreht sich die atomare Aufrüstungsspirale in beängstigender Geschwindigkeit. è Unser Vorwurf an die beiden mächtigen Staatsmänner ist hart: Schande über US-Präsident Donald Trump und Schande über Wladimir Putin, den Präsidenten der Russischen Föderation für den Ausstieg aus dem INF-Vertrag! Heute schreitet die atomare Aufrüstung schier ungebremst voran. Öffentlich kaum beachtet die die Tatsache, dass bis zum Jahr 2024 atomare Abwurfbomben der US-Armee durch sogenannte „smarte Lenkwaffen“ ersetzt werden sollen. Bei diesem Typ präzisionsgelenkter Munition – in Englisch „Smart Munition“, „Smart Bombs“ oder „Precision-guided Munition“ – genannt, handelt es sich selbststeuernde Flugkörper, Fliegerbomben, Artilleriegranaten oder Raketen. Gegenüber ungelenkter Munition verfügen sie über eine wesentlich größere Zielgenauigkeit. Mit diesen atomaren Lenkwaffen wird die Hemmschwelle zum Einsatz von Atomwaffen drastisch gesenkt. „Smarte Lenkwaffen“ sind klein, ihr Einsatz ist praktikabel, ihre Ziele sind klar definierbar. Dankenswerter Weise ruft der DGBdie Bundesregierung zum Antikriegstag 2019 auf, endlich den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. Bereits 70 Staaten haben diesen Vertrag unterzeichnet, weitere 26 Staaten haben ihn ratifiziert. Unterstützt durch ICAN Deutschland, die IPPNWund die Kampagne Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt– deren Träger*innenkreis gestern mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet werden wurden – fordern wir von der Bundesregierung: è Bundeskanzlerin Merkel und ihre Minister*innen in der Bundesregierung, unterzeichnen auch Sie endlich den Verbotsvertrag für Atomwaffen! Euch möchte ich bitten, die Petition an die Bundesregierung zu unterzeichnen, was bereits mehr als 81.000 Menschen getan haben! Ihr findet sie unter https://aktion.nuclearban.de 2. EU-Aufrüstung & Schaffung militärischer Infrastruktur zur Truppenverlegung Was haben die Regierenden in Deutschland und in Europa aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gelernt? Nichts, möchte man meinen. Denn heute stehen die Zeichen der Zeit erneut auf Konfrontation, Eskalation und Kriegsvorbereitung. Das europäische Friedensprojekt ist in Gefahr. Die Regierungen der NATO-Mitgliedsstaaten haben in Wales einen Vertrag unterzeichnet, wonach die Rüstungsausgaben eines jeden Mitgliedslandes auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts angehoben werden sollen. Anwesend war damals auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Dieser Aufrüstungsprozess ist voll im Gange: Allein in Deutschland wurde der Rüstungsetat von vormals 35 Milliarden auf nunmehr rund 47 angehoben. Letztlich soll er auf bis zu 80 Milliarden Euro gesteigert werden – wohlgemerkt pro Jahr. Damit wären die weitere Aufrüstung und Militarisierung in den NATO-Mitgliedstaaten Europas vorprogrammiert – bei gleichzeitigem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialabbau. Denn wo auf der einen Seite mehr gegeben wird, muss auf der anderen Seite mehr genommen werden. Wichtig zu wissen: Die 2-Prozent-Verpflichtung ist rechtlich nicht bindend! è Allerdings sollten wir die Chance nutzen, die sich in den Jahren der Aufrüstung und des Sozial- und Bildungsabbaus offenbart: Jetzt ist die Zeit gekommen für eine gemeinsame – so breit wie nie zuvor getragene – Kampagne der Friedens- und Entwicklungsbewegung, der Gewerkschaften und Kirchen und vielen weiteren Organisationen! Nachdrücklich verweise ich auf die mit viel Rückenwind gestartete Kampagne ABRÜSTEN STATT AUFRÜSTEN, einer deren Erstunterzeichner*innen ich bin (siehe www.abruesten.jetzt). Unser Europa setzt auf Abrüstung und Entmilitarisierung, auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit! 3. Rüstungsexporte weltweit stoppen! Auch beim weltweiten Waffenhandel – wie ihr wisst, mein zentraler Arbeitsschwerpunkt seit gut 35 Jahren – müssen wir eine desaströse Entwicklung bilanzieren. Laut Recherchen des „Stockholm Peace Research Institute (SIPRI)“, steigen die Rüstungsexporte weltweit seit 2003 ungebrochen. In einer aktuellen Analyse vergleicht SIPRI den Fünf-Jahres-Zeitraum von 2014 bis 2018 mit dem von 2009 bis 2013. Summa summarum verzeichnen die schwedischen Friedensforscher*innen eine Steigerung von 7,8 Prozent im internationalen Rüstungstransfer von Großwaffensystemen – also Kampfflugzeugen und Militärhelikoptern, Kriegsschiffen und Kampfpanzern. Bekanntlich mischt auch Deutschland als weltweit viertgrößter Exporteur von Großwaffen und Kleinwaffen – also von Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehren sowie Mörsern – massiv beim Handel mit Kriegswaffen und Rüstungsgütern mit – wohlgemerkt mit einer Steigerungsrate von 13 Prozent. Davon profitieren auch die Unternehmen, die Bestandteile für Kriegswaffen herstellen – so die Freiburger Northrop Grumman LITEF GmbH. LITEF – eines der tödlichsten Unternehmen Deutschlands Nach eigenen Angaben fertigt LITEF in der Lörracher Straße als traditionelle Arbeitsschwerpunkte „Inertiale Sensoren, Inertiale Referenz- und Navigationssysteme sowie Rechner“. Als Produktionsbereiche nennt LITEF auf ihrer Website zivile und militärische Luftfahrzeuge, militärische Landfahrzeuge, maritime und industrielle Anwendungen. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Das, was LITEF nicht auf seiner Firmenwebsite nennt: Der Freiburger Rüstungsproduzent stellt faseroptische Navigationssysteme für Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe und Landfahrzeuge her. Skrupellos profitiert LITEF von Kriegen in aller Welt. So stellt Litef Navigationssysteme und Steuereinheiten für die militärische Luftfahrt her. Anwendungsbreiche sind das F4-Kampfflugzeug sowie die Kampfbomber TORNADO und EUROFIGHTER. 72 Eurofighter wurden in der Exportversion EF Typhoon an Saudi-Arabien geliefert. Bei ihren – auch die für Zivilbevölkerung – todbringenden Luftschlägen im Jemen-Krieg setzte die Royal Saudi Air Force TORNADO und EUROFIGHTER-TYPHOON ein. Auch im Land sind schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Des Weiteren entwickelt das Unternehmen Navigationssysteme. Diese werden u.a. in U-Booten, in Schützenpanzern der koreanischen Armee und in LEOPARD-Kampfpanzern eingesetzt. LEOPARD-II-Kampfpanzer wurden im März 2018 seitens der türkischen Armee völkerrechtswidrig in Afrin gesetzt. Viele weitere menschenrechtsverletzende oder kriegführende Empfängerländer – wie beispielsweise Pakistan – müssen Einsatzgebiete von LITEF-Militärelektronik genannt werden. Im Rahmen unseres Projektes GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE wird das RüstungsInformationsBüro noch in diesem Jahr ein Firmenprofil von LITEF erarbeiten, das die Verwicklungen in die weltweiten Geschäfte mit dem Tod offenlegt. LITEF ist Tochterunternehmen der Northrop Grumman Corp., dem fünfgrößten Waffenexporteur der Welt. NG hat seine weltweiten Waffenverkäufe von 21,8 Mrd. USD 2016 auf 22,3 Mrd. USD 2017 gesteigert. Am NG-Gesamtumsatz machen die Waffenverkäufe 87 % aus. Laut Angaben des norwegischen Finanzministeriums stellt der NG-Konzern auch Atomwaffen her. Und NG ist verwickelt in den Bau von Grenzsicherungssystemen zur Flüchtlingsabwehr. NG ist ein bekannter Hersteller von Unmanned Aircraft Systems (AUS) – Drohnen also. NG-LITEF in Freiburg hat ein Navigationssystem für eine Kampfdrohne entwickelt. Wie viele Menschen haben bisher ihre Leben verloren durch den Einsatz von Kriegswaffen mit LITEF-Bestandteilen? Wie viele wurden verstümmelt und verkrüppelt? Tausende, Zehntausende, Hunderttausende? Klar ist: LITEF ist nicht nur Freiburgs tödlichstes Unternehmen, LITEF ist eines tödlichsten Unternehmen in Deutschland. Und die Stadt Freiburg profitiert von den Gewerbesteuerzahlungen von LITEF. Ich frage die Stadtverwaltung: Wie hoch waren und sind die Gewerbesteuerzahlungen von LITEF Jahr für Jahr? è Und ich fordere die Stadt Freiburg auf, diese Einnahmen unserer Freiburger Friedensarbeit in zugutekommen zu lassen! è Meine zweite Forderung richtet sich an die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall im Betriebsrat: Initiiert die Gründung eines „Runden Tisches Rüstungskonversion“. Denn LITEF darf nicht länger mit seinen Kriegswaffenexporten zum Morden in aller Welt beitragen! Eine bundesweit zentrale Rolle kommt den Großwaffenexporteuren der Düsseldorfer Rheinmetall AG und den Kleinwaffenherstellern von SIG Sauer in Eckernförde zu. Dabei wählen immer mehr Kriegswaffenlieferanten die Strategie der Verlagerung ins Ausland – also raus aus Deutschland. Neue Produktionsstandorte bilden dabei Staaten mit einer laxeren Rüstungsexportkontrolle. Liebe Friedensfreund*innen: Wir nehmen diese Fehlsteuerung nicht einfach hin – wir handeln! Hierzulande ist es uns mit „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ seit Kampagnengründung 2011 mit Erfolg gelungen, durch investigative Recherchen, kreative Aktionen und erfolgreiche Strafanzeigen den Druck auf den Gesetzgeber so zu erhöhen, dass die Rechtslage sukzessive verschärft werden musste. Auch wenn diese noch viele Schlupflöcher aufweist, gehen die Einschränkungen manchen Waffenschmieden schon jetzt zu weit. è Uns gelingt es zunehmend, Gesetzesverschärfungen herbeizuführen und erfolgreich Strafanzeigen – wie gegen Heckler & Koch und SIG Sauer – zum Abschluss zu bringen – das ist erfreulich! Weniger erfreulich ist: Zeitgleich zu unserer erfolgreichen Strafanzeige und der Verurteilung vor dem Landgericht Kiel wegen des illegalen Exports von rund 38.000 Pistolen über die Vereinigten Staaten von Amerika ins Bürgerkriegsland Kolumbien hat SIG Sauer die Kriegswaffenproduktion weitgehend in die USA verlagert. Mittels eines Joint-Ventures mit dem südafrikanischen Munitionshersteller Denel plant Rheinmetall die Eroberung des globalen Munitionsmarktes vom afrikanischen Kontinent aus. 38 Munitionsfabriken sollen weltweit gebaut werden. Zudem verlagerte der Düsseldorfer Rüstungsriese die Produktion großkalibriger Munition zur italienischen Unternehmenstochter RWM Italia, die von Sardinien aus Munition nach Saudi-Arabien exportierte. Die saudischen Streitkräfte setzten RWM-Granaten im Jemen-Krieg gegen Zivilist*innen ein. è Wer Kriegswaffen an Regierungen liefert, die Menschenrechte verletzen verüben, leistet Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen. Wer Kriegswaffen an Regierungen liefert, die Krieg führen, leistet Beihilfe zu Mord! Immerhin, im Fall von RWM Italia sind wir vorangekommen: So muss die italienische Rheinmetall-Tochter RWM-Italia „ihre umstrittenen Exporte konventioneller Bomben nach Saudi-Arabien stoppen. è Wir fordern ein dauerhaftes internationales Exportverbot: Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten müssen generell verboten werden! Weltweite Vernetzung aller Gegner*innen des Rüstungsexports vonnöten Angesichts der Strategie der Rüstungskonzerne, Produktionskapazitäten in aller Welt aufzubauen, wird eines offenbar: Bislang fehlt die globale Vernetzung der Gegner*innen des Rüstungsexports durch einen umfassenden Ansatz. Ein erfolgversprechender Ansatzpunkt, den weltweit agierenden Rüstungsexporteuren in Industrie, Politik, Lobbyverbänden, Banken und beim Militär mit vereinten Kräften entgegenzutreten ist die im Frühjahr 2018 erfolgte Gründung des „GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE“ mit der GN-STAT-Website www.gn-stat.org bislang in sechs Sprachen. Mit diesem weltweit einmaligen Netzwerk wollen wir beim RüstungsInformationsBüros hier in Freiburg internationale Fälle des Waffenhandels auf allen Kontinenten aufdecken, das globale Geflecht der Kriegsprofiteure entlarven, den Tätern Namen und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Und wir wollen gewaltfreie Aktionen sowie Klageverfahren gegen Rüstungsmanager, Politiker und Lobbyisten in aller Welt initiieren oder unterstützen. Derzeit recherchieren wir an GN-STAT FALL 06 „Profiteure der Abschottung. Wie Rüstungskonzerne mit Waffenlieferungen und Grenzsicherungssystemen Milliarden verdienen – und was wir aktiv dagegen tun können“. Unsere Bitte: Macht mit GLOBAL NET und unterstützt den weltweiten Widerstand gegen Waffenhandel! Und damit wir unsere Ziele erreichen:è Lasst uns aktiv eintreten gegen Aufrüstung und Krieg!è Lasst uns aktiv eintreten gegen Atomwaffen und Rüstungsexporte!è Lasst uns aktiv eintreten für Frieden, Entspannung und Vertrauensbildung und die Achtung des Völkerrechts!