DAKS-Newsletter Juni 2011 ist erschienen!

Die Finanzsituation in Griechenland ist derzeit in aller Munde. Unberücksichtigt bleibt in diesem Zusammenhang leider, in wie fern die umfangreichen deutsch-griechischen Rüstungsgeschäfte mitverantwortlich für die derzeitige Misere sind, da sie eine nachhaltige Entwicklung beeinträchtigt haben. – Im aktuellen Newsletter dazu ein Überblick.

Ein weiterer Hintergrundbericht bemüht sich um eine Einschätzung der derzeitigen Armee-Debatte in der Schweiz. Auch in diesem Fall stellt sich wieder die Frage, in wie fern Rüstungsausgaben – insbesondere wenn der Nutzen der geplanten Rüstungsprogramme selbst aus militärischer und sicherheitspolitischer Sicht fraglich ist – einer nachhaltigen Entwicklung dienlich ist.

Ebenfalls im Newsletter: Die Finanzlage von Heckler & Koch – und die Frage, wie sich das Unternehmen aus seiner Schuldenkrise befreien möchte – gibt nach wie vor Rätsel auf. Wir versuchen eine Einschätzung.

Und: Die aktuelle Folge des „Lizenzlexikon Heckler & Koch“ ist in diesem Monat der Maschinenpistole MP7 gewidmet.

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DAKSKleinwaffen-Newsletter Juni 2011, Nr. 69

1. IANSA: „Global Gun Destruction Day“ und Vorbereitungskonferenz im Juli

Vom 13. bis 19. Juni veranstalten die Mitglieder des Internationalen Aktions-Netzwerks zu Kleinwaffen (IANSA) die „Internationale Woche gegen Waffengewalt“. Am 9. Juli findet dann wie jedes Jahr der „Global Gun Destruction Day“ statt. Beide Aktivitäten sollen die Lobbyarbeit der IANSA-AktivistInnen unterstützen, die beim dritten Vorbereitungstreffen (PrepCom) bei den Vereinten Nationen mit den angereisten Staatenvertretern sprechen werden. Vom 11. bis 15. Juli verhandeln die Regierungsdelegationen in New York über die möglichen Inhalte eines weltweiten Waffenkontrollvertrages (Arms Trade Treaty). In der April-Ausgabe des Kleinwaffen-Newsletters hat Robert Lindner (Oxfam Deutschland) in einem Beitrag zum ATT-Prozess das Juli-Treffen als vorentscheidend bezeichnet. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.oxfam.de/informieren/waffenhandel

Aktuell verweist IANSA auch auf die Mai-Ausgabe des DAKS-Kleinwaffen-Newsletters und die darin vorgestellte Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“

2. Heckler & Koch: Finanzlage weiter unklar

von André Maertens und Fabian Sieber

Am 15. Juli 2011 muss Heckler & Koch eine im Jahr 2004 ausgegebene Anleihe über 120 Millionen Euro zurückzahlen. Um diese Ausgaben zu schultern, hat das Unternehmen angekündigt, eine neue Hochzins-Anleihe am freien Kapitalmarkt zu platzieren. Laut Angaben des Handelsblatt beläuft sich die Anleihe auf 290 Millionen Euro. Ziel ist es offensichtlich, nicht nur die Mitte Juli fällig werdende Anleihe auszulösen, sondern auch eine weitere, spätestens im Jahr 2013 fällig werdende PIK-Anleihe der HK-Muttergesellschaft über 170 Millionen teilweise umzuschulden. Gleichzeitig berichtet Financial Times Deutschland über einen geplanten Börsengang von Heckler & Koch, um auf diese Weise die Verschuldung nachhaltig zu senken. Ein Termin hierfür wird bisher zwar nicht genannt, aber als Reaktion auf die Ankündigung bezeichnet die Wirtschaftswoche Heckler & Koch schon jetzt als einen der „heißesten Börsengänge des Jahres“.

Trotz dieser Fülle an Nachrichten ist weiterhin unklar, wie sich die finanzielle Situation von Heckler & Koch tatsächlich gestaltet. Auffällig ist, dass das Unternehmen offensichtlich nicht in der Lage gewesen ist, sich Geld auf dem ‚gewöhnlichen‘ Kapitalmarkt einzusammeln, sondern die angekündigte Anleihe erneut im spekulativen Hochzins-Segment platzieren muss. Damit korrespondiert die Einschätzung der Ratingagentur Moodys, die die Kreditwürdigkeit von HK nach wie vor negativ sieht und deshalb das Unternehmen von B3 auf Caa1 herabgestuft hat. Damit gilt die geplante Anleihe nicht einmal mehr als „Sehr spekulativ“ wie ein B3-Rating indizieren würde, sondern der Anleihe wird ein „Hohes Ausfallrisiko“ unterstellt.

Um die finanzielle Gesamtsituation zu verbessern, empfiehlt Moodys dem Unternehmen

1.) die Refinanzierung der laufenden Anleihen sicherzustellen;

2.) die liquiden Mittel des Unternehmens zu erhöhen, um gegen wirtschaftliche Schwankungen gewappnet zu sein und

3.) sicherzustellen, dass auch mittelfristig die Schuldenlast den Unternehmensgewinn vor Steuern (EBITDA) nicht um das Siebenfache überschreiten wird.

Da HK in den letzten Jahren sehr viele Waffen exportieren durfte, wurde insbesondere die letztgenannte Kennzahl bisher eingehalten. Im Jahr 2009 soll HK einen EBITDA von 49 Millionen Euro erwirtschaftet haben, bei Gesamtschulden von 290 Millionen Euro übertreffen die Schulden den Gewinn damit „nur“ um das 5,9-fache.

Ein Börsengang mag unter diesen Vorzeichen wie eine Lösung erscheinen. Unklar ist nur, wer – aus Sicht des Unternehmens – als möglicher Investor auftreten soll. Die mangelnde Kreditwürdigkeit des Unternehmens macht es institutionellen Anlegern praktisch unmöglich, in das Unternehmen zu investieren, so dass eigentlich nur spekulative Finanzinvestoren in Frage kommen, die das „hohe Ausfallrisiko“ zu tragen bereit sind.

Nach §6 Abs. 3 Ziff. 3 des Kriegswaffenkontrollgesetzes darf der Umgang mit Kriegswaffen nur solchen Personen genehmigt werden, die eine vertrauenswürdige Zuverlässigkeit besitzen. Vielleicht sollten die zuständigen Kontrollbehörden bei Bedarf überprüfen, ob Risikokapitalgesellschaften diese Zuverlässigkeit von Haus aus mitbringen.

3. Lizenzlexikon Heckler & Koch: MP7

Die Entwicklung der Maschinenpistole MP7 von Heckler & Koch begann kurz vor dem Ende des Kalten Krieges. Noch im Jahr 1989 formulierte die NATO ein Pflichtenheft für eine neue Generation von Maschinenpistolen. Ziel war es, den Kampfwert dieses etablierten und ‚bewährten‘ Waffentyps an die veränderte Kriegs-Realität anzupassen. Im Hintergrund der damaligen Konzeption stand die Erkenntnis, dass die flächendeckende Einführung von durchschusshemmenden Kampfanzügen und -westen die Wirksamkeit der bisher eingesetzten (Maschinen-)Pistolen Munition gemindert hatte, da diese durch die Schutzanzüge mehr oder weniger erfolgreich abgefangen wird. Da Maschinenpistolen in der Regel auf kürzeste Schussdistanzen zum Einsatz gelangen und damit in Kampfsituationen, in denen es darauf ankommt, den Gegner schnellstmöglich zu töten – und noch ehe er in der Lage ist, seine eigene Maschinenpistole einzusetzen – sollte eine Alternative zur bisher verwendeten Munition im Kaliber 9 x 19 mm gefunden werden. Sie musste in der Lage sein, eine konventionelle Schussweste zu durchschlagen und auch dann noch über genug Geschossenergie zu verfügen, um den so geschützten Feind möglichst schwer zu verletzen.

Um eine Lösung für den gestellten Auftrag entwickeln zu können, ging HK eine Kooperation mit dem damals noch eigenständigen Munitionshersteller Dynamit Nobel ein. Das Ergebnis wurde im Jahr 1999 der Öffentlichkeit vorgestellt: Es ist die Maschinenpistole MP7 im Kaliber 4,6 x 30 mm.

Im Jahr 2001 wurde mit der Serienproduktion der Waffe begonnen, nachdem die Bundeswehr als erster Kunde einen Lieferauftrag erteilt hatte. Die im Jahr 2002 begonnene Entwicklung einer halbautomatischen Pistole im gleichen Kaliber 4,6 x 30 mm konnte bis heute zu keinem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Gerüchte besagen, dass die ballistischen Eigenschaften der Munition diese ungeeignet machen für eine Verwendung in Pistolen.

Beim Vergleichsprodukt der Konkurrenz in Gestalt von FN Herstal scheint die Situation anders gelagert zu sein. FN brachte mit der P90 bereits im Jahr 1994 eine Maschinenpistole auf den Markt, die den NATO-Anforderungen entsprach. Für die ebenfalls durch FN entwickelte Munition im Kaliber 5,7 x 28 mm wurde dann auch eine halbautomatische Pistole konstruiert, die unter dem Produktnamen „FiveseveN“ seit 2004 auch auf dem „zivilen“ Schusswaffen-Markt erhältlich ist.

Die problematischen Seiten der neuen Waffen und ihrer Munition werden seit dieser Marktoffensive vor allem in den USA immer wieder diskutiert. Der Grund: Im Kontext des mexikanischen Drogenkriegs scheinen sich diese Waffen in den Kreisen der organisierten Kriminalität einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen (vgl. DAKS-Newsletter 08/2010). Der Spitzname „Cop Killer“, den die Waffen hierbei erhalten haben, lässt Rückschlüsse auf ihre von den Drogenschmugglern angestrebte Verwendung zu. Bereits im Jahr 2005 haben Polizeivertreter auf die Gefahren hingewiesen, die aus dem freien Verkauf der Waffen an Privatpersonen für Polizeibeamte resultieren können, die sich im Einsatz eben nicht mehr automatisch auf die gewohnte durchschusshemmende Wirkung der von ihnen getragenen Schutzwesten verlassen können.

Hinzu kommen die ethisch als problematisch einzustufenden wundballistischen Effekte der neu entwickelten Munition. Simulationen in 10% Gelatine demonstrieren den vernichtenden Effekt insbesondere der Munition im Kaliber 4,6x30mm. Die Simulation zeigt, dass die Energieabgabe an den getroffenen menschlichen Körper nicht gleichmäßig, sondern ungleichmäßig verläuft. Da sich das Geschoss kurze Zeit, nachdem es in den Körper eingedrungen ist, überschlägt, steigert sich die Energieabgabe schlagartig und die Wunde, die auf diese Weise entsteht, ist grässlich (vgl. DAKS-Newsletter 11/2005).

Vielleicht genießt die MP7 von Heckler & Koch gerade deshalb mittlerweile eine gewisse Beliebtheit bei militärischen und polizeilichen Spezialeinheiten – weltweit. Bekannt ist der Einsatz in folgenden Ländern:

Albanien, Deutschland, Dubai, Großbritannien, Irland, Jordanien, Malaysia, Marokko, Norwegen, Oman, Österreich, Südkorea, USA und Vatikan.

Vermutet wird der Einsatz in weiteren Ländern, etwa in Frankreich, der Schweiz, Spanien, Indonesien und Italien.

Lizenzen zum Nachbau der MP7 wurden bisher noch keine vergeben.

4. Griechenlands Rüstungsausgaben: Stolperstein für eine nachhaltige Entwicklung?

von Fabian Sieber

Griechenland steht vor dem Ausverkauf. Neben einem Sparprogramm, das umfangreiche Haushaltskürzungen vorsieht, und geplanten Steuererhöhungen in erheblichem Umfang scheint Griechenland auch über den Verkauf von Staatsbesitz nachzudenken, um auf diese Weise einmalige Einnahmen verbuchen zu können, mit deren Hilfe der Schuldendienst geleistet werden kann.

Verkaufs- bzw. Privatisierungsabsichten scheinen auch im Hinblick auf die griechische Rüstungsindustrie zu bestehen. So berichtet etwa Reuters, der Finanzdienstleister KPMG sei beauftragt worden, den Verkauf von „Hellenic Defense Systems“ (EAS) zu begleiten, jenes Unternehmens, das bis heute die griechische Armee mit ihren Kleinen und Leichten Waffen versorgt. Bemerkenswert ist hierbei, dass EAS in diesem Bereich auschließlich Lizenzprodukte herstellt: Von Heckler & Koch erhielt das Unternehmen die Erlaubnis zum Nachbau der halbautomatischen Pistole USP, der Maschinenpistole MP5, des Schnellfeuergewehrs G3, des Leichten Maschinengewehrs HK21/HK11 und der Granatmaschinenwaffe (GMW) im Kaliber 40 x 53 mm. Anders als beim G3-Gewehr wurde für das mittlerweile auch eingeführte Schnellfeuergewehr G36 jedoch keine Lizenz erworben. Stattdessen wurden die rund 110.000 Exemplare vollständig in Oberndorf hergestellt und dann exportiert. Weitere Lizenzen hält EAS von Rheinmetall und FN Herstal.

Die Strategie, Waffen nicht selbst zu entwickeln, aber im Inland in Lizenz zu produzieren, stellt den Versuch dar, den Abfluss an Kapital, der durch die Waffenimporte stattfindet, zu minimieren. Gleichzeitig ist damit die Hoffnung verbunden, produktionstechnisch autark zu bleiben und im Kriegsfall nicht auf Waffenlieferungen angewiesen zu sein, da prinzipiell eine eigene, heimische Waffenindustrie besteht, die den Armee-Bedarf decken kann. Teuer ist diese Strategie dennoch, da mit den Rüstungsausgaben kein wirtschaftlicher Mehrwert geschaffen wird. Hinzu kommt, dass die so aufgebaute Rüstungsindustrie zwar den Kapitalabfluss minimiert, selbst jedoch viel Kapital bindet, da ja nicht einfach nur Waffen gekauft werden, sondern auch Maschinen und Fabrikgebäude, bzw. Gehälter ausbezahlt werden müssen. Auch in diesem Fall schaffen die eingesetzten Investitionen keinen wirtschaftlichen Mehrwert, da die so aufgebauten Rüstungsfirmen nur die Inlandsnachfrage decken dürfen, selbst jedoch keine Waffen exportieren können, da sie an den hergestellten Produkten keine Rechte besitzen.

Die griechischen Militärausgaben sind in den vergangenen Jahrzehnten auf einem konstant hohem Niveau gewesen und haben je etwa 3% des BIP verschlungen.

JahrMilitärausgaben (in Mio. Euro)Anteil der   Militärausgaben (in Prozent am BIP)
200149483,4
200250303,2
200344622,6
200450482,7
200556522,9
200660642,9
200762352,8
200872193
200976123,2
20107062

Die deutsche Rüstungsindustrie hat von diesen Ausgaben in erheblichem Umfang profitiert – gerade auch im Bereich der Kleinen und Leichten Waffen. In den reinen Exportzahlen spielen diese Geschäfte natürlich kaum eine Rolle, da der Stückpreis der jeweiligen Waffen schlicht zu niedrig ist, um wirklich ins Gewicht zu fallen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Griechenland in diesem Sektor nahezu vollständig von deutschen Rüstungsunternehmen abhängig ist.

JahrWaffenimporte  aus Deutschland (in Mio. Euro)deutscher Marktanteil   an den gesamten griechischen Rüstungsausgaben
2001347,57,00%
2002266,25,30%
2003462,110,40%
2004150,63,00%
2005255,84,50%
2006455,27,50%
2007289,14,60%
200883,51,20%
200915,90,20%
2010

Unter diesen Umständen überrascht es nicht, wenn die FAZ bereits über Gerüchte berichtet, laut denen Rheinmetall Interesse an einer strategischen Partnerschaft mit EAS bekundet habe. Die Kontakte sind einfach zu gut, als das man sie nicht pflegen müsste. Und der griechische Rüstungsmarkt ist ein zu großer Absatzmarkt, als dass man ihn – ökonomisch betrachtet – ignorieren sollte.

Klar ist jedoch auch, dass Deutschland durch seine Rüstungsexportgenehmigungen eine Mitschuld an den überbordenden Rüstungsausgaben Griechenlands trägt. Die „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ sind in dem Bestreben verabschiedet worden, durch die restriktive Begrenzung von Rüstungsexporten einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt zu leisten. In Kriterium 6 heißt es daher im Wortlaut: „Bei der Entscheidung über die Genehmigung des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern wird berücksichtigt, ob die nachhaltige Entwicklung des Empfängerlandes durch unverhältnismäßige Rüstungsausgaben ernsthaft beeinträchtigt wird.“ – Zur Anwendung gebracht worden zu sein scheint dieses Kriterium jedoch nie.

5. Die Schweiz und ihre Armee

von Fabian Sieber

Die Schweizer Armee stand nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zunächst vor einer Sinnkrise und dann vor einer Reform und Transformation, um sie an die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen anzupassen. Das Vorgehen unterschied und unterscheidet sich dabei nur marginal von demjenigen, das bei ihren europäischen Partnerarmeen praktiziert wird.

So wurde die unter dem Namen „Armee 95“ geführte Armeereform (benannt nach dem Jahr ihrer Einführung 1995) bereits im Jahr 2003 durch das Reform-Programm „Armee XXI“ abgelöst, lange bevor die Ziele des ersten Reformkonzepts überhaupt erreicht worden waren. Zwei Jahre später dann, im Mai 2005, wurde ein Reformpaket verabschiedet, mit dem die Schritte definiert werden sollten, die in den Jahren 2008-2011 umgesetzt werden sollten.

Dieses Vorgehen löst bei den von der Reform betroffenen Soldaten nicht nur Unsicherheit über die Zielvorstellungen aus, die von den verantwortlichen Politikern formuliert werden müssen, sondern lässt von außen betrachtet auch im Fall der Schweiz die Frage aufkommen, in wie fern es im Bereich der Sicherheitspolitik überhaupt noch einen gesellschaftlichen Konsens gibt, wofür eine Armee aufgebaut und unterhalten werden soll.

Anders ausgedrückt: Die verschiedenen in der Schweizer Armee derzeit gleichzeitig stattfindenden Entwicklungen veranschaulichen paradigmatisch die Sinnkrise, in der sich der militärisch-industrielle Komplex heute immer noch befindet.

Traditionell wird in der Schweiz die Notwendigkeit des Unterhalts einer Armee mit dem Mantra der Neutralität verknüpft. Demnach sei diese nur solange garantiert, wie die Armee einen potentiellen Aggressor abschrecken kann. Natürlich ist in dieser Denkweise die Landesverteidigung die Aufgabe von grundsätzlich jedem (männlichen) Bürger, weshalb eine allgemeine Wehrpflicht besteht und die Milizstruktur der Armee in der Verfassung verankert ist (Bundesverfassung §58 Abs.1). Die Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern, ist nicht vorgesehen. Die Möglichkeit, einen Wehrersatzdienst zu leisten, besteht erst seit 1992. Das Eingreifen der Armee in innenpolitische Belange ist in diesem Ideal nicht nur vorgesehen, sondern der Regelfall, der das Bürgerengagement ausdrückt.

Mit diesem Idealbild kollidiert natürlich die heutige Situation, in der die Armee – nicht zuletzt aus Kostengründen – immer weiter verkleinert wird. Während die Armee 1988 noch 625.000 Soldaten umfasste, sah das Reformkonzept der „Armee 95“ eine Verkleinerung auf rund 400.000 Mann vor. Die heute favorisierte „Armee XXI“ hingegen soll (in Friedenszeiten) 80.000 bis 100.000 Soldaten umfassen.

Natürlich bedeutet das auch, dass nicht mehr für alle Wehrpflichtigen eine Verwendung in der Armee gegeben sein wird. Im Mai 2011 stimmte das Schweizer Parlament deshalb über eine Aussetzung der Wehrpflicht ab (vgl. NZZ vom 31.5.2011). Überraschend ist dabei nicht, dass der entsprechende Antrag scheiterte, sondern dass 53 von 117 Abgeordneten dafür stimmten.

Ein vollkommen anderes Themenfeld stellen in diesem Zusammenhang die internationalen Verpflichtungen dar, die die Schweiz seit Mitte der 1990er Jahre eingegangen ist. Die Schweiz ist im Jahr 2002 der UNO beigetreten, hat jedoch bereits im Jahr 1996 das Rahmenabkommen des NATO-Programms PfP, „Partnership for Peace“, unterzeichnet und ist 1997 dem „Euro-Atlantic Partnership Council“ beigetreten. Da das Ziel des NATO-Partnership–Programms in der Vereinheitlichung der beteiligten Armeen an die NATO-Standards besteht, sind Reformen der Schweizer Armee nun unumgänglich.

Die seit mehreren Jahren in der Schweiz diskutierte Beschaffung neuer Kampfflugzeuge muss natürlich auch vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Mit dem von McDonnell Douglas hergestellten Flugzeugtyp F18 verfügt die Schweizer Luftwaffe seit 1996 über 32 moderne Kampfflugzeuge, die zur Luftraumüberwachung eingesetzt werden können. (Und das auch in Kriegszeiten, wie die NATO-Koalition derzeit in Libyen demonstriert.) Im Rüstungsprogramm 2011 sind für die Beschaffung neuer Luft-Luft-Raketen 180 Millionen Sfr. vorgesehen, durch die eine ‚zeitgemäße‘ Bewaffnung der Flugzeuge sichergestellt werden soll. Die Luftraumüberwachung in Friedenszeiten ist mit diesen Flugzeugen und dieser Anzahl von Maschinen mehr als sichergestellt. Anfang Juni 2011 beschloss der Schweizer Ständerat (die 2. Kammer des Parlaments) die Beschaffung von 22 weiteren Kampfflugzeugen in einem Gesamtwert von maximal 5 Milliarden Sfr. bis spätestens zum Jahr 2017. Diese Entscheidung ist noch nicht definitiv, da das Votum des Nationalrats noch aussteht und die Finanzierung des Projekts noch vollkommen unklar ist. Sie illustriert jedoch die Verpflichtungen, in denen die Schweiz gegenüber ihren Partnerländern steht – eine Quasi-Verpflichtung zur Aufrüstung eingeschlossen.

Noch komplizierter wird die Situation, wenn man insgesamt den Bereich der Rüstungsindustrie mit in den Blick nimmt. Natürlich hat sich im Zuge der diversen Armee-Reformen auch die Struktur der rüstungsindustriellen Basis verändert. War bis Mitte der 1990er Jahre der Großteil der waffenproduzierenden Unternehmen in staatlichem Besitz, wurden diese Firmen im Jahr 1998 – analog zur Entwicklung innerhalt der (rest-)europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie, vgl. die Gründung der EADS im Jahr 2000 – in die privatrechtlich organisierte RUAG AG zusammengefasst und ausgelagert. Alleiniger Aktionär ist zwar bis heute der Schweizer Staat – im Hinblick auf die Letzt-Verantwortung hat sich also nichts geändert. Neu hingegen ist, dass die Rüstungsfirmen seitdem gewinn- und wachstumsorientiert arbeiten müssen und nicht mehr wie bisher primär bedarfsorientiert. Wobei die Richtgröße der Inlandsmarkt wäre.

Die RUAG ist heute ein im europäischen Markt gut vernetzer Global Player. So ist Anfang Mai bekannt geworden, dass sich die RUAG in Kooperation mit dem US-amerikanischen Hersteller General Atomics an einer Ausschreibung der deutschen Bundeswehr für bewaffnete Aufklärungsdrohnen beteiligen möchte. Vorbild ist das Modell der Predator-Drohne, die durch ihren Einsatz in Pakistan immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Geschäfte wie diese sind nur im Rahmen des internationalen Rüstungsmarktes denkbar, da selten ein einziges Unternehmen über alle notwendigen technologischen Kompetenzen verfügt, um entsprechende, komplexe Waffensysteme zu entwickeln. Und sie sind auf den internationalen Rüstungsmarkt hin konzipiert, da nach der Beschaffung durch die Armee eines Landes meist Folgeaufträge anderer Armeen zu verbuchen sind. Dies ist so vom Hersteller-Konsortium auch gewollt, da dieses ja im Interesse seiner Aktionäre und gewinnorientiert wirtschaftet.

Die gleiche Entwicklung durchlief die RUAG mit ihrem Tochterunternehmen RUAG Ammotec nicht nur im Hochtechnologie-, sondern auch auch im Niedrigtechnologie-Bereich, hat sich diese Firma doch durch ausgedehnte Zukäufe insbesondere in Deutschland und Österreich mittlerweile zum größten Hersteller militärischer Kleinkaliber-Munition in Europa entwickelt, ohne den die Versorgung der Streitkräfte diverser EU- und NATO-Staaten nicht sichergestellt wäre (vgl. DAKS-Newsletter 5/2007). Notwendig war diese Entwicklung sicherlich nicht, aber sie scheint von den politisch Verantwortlichen gewünscht gewesen zu sein. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist jedoch klar: Eine restriktive Durchsetzung von Rüstungsexportbeschränkungen kann niemals stattfinden, da sie einen Rückzug aus den eingegangenen Verpflichtungen und Verantwortungen gegenüber den Nachbarstaaten und Partnerländern bedeuten würde.

Unter diesen Umständen wirken die derzeitigen Diskussionen um die zukünftige Gestalt der Schweizer Armee fast gänzlich losgelöst von den realen Bedingungen, unter denen die Sicherheits- und Verteidigungspolitik real stattfindet. Natürlich sind diese Bedingungen nicht in einem luftleeren Raum entstanden, sondern sind Resultate der teils recht kurzsichtigen Entscheidungen der 1990er Jahre. Die Konsequenz daraus müsste jedoch sein, dass heute keine ähnlich überstürzten Entscheidungen getroffen werden wie damals, sondern ein gesamtgesellschaftlicher, friedensethisch tragfähiger Konsens erzielt wird, wie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik künftig aussehen soll.

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