Die entscheidende Nachricht: vielleicht nicht „der“, aber wenigstens „ein“ Arms Trade Treaty ist verabschiedet worden. – Es war ein weiter Weg. Und der Weg, der noch zu gehen ist, scheint fast noch weiter.
Dies zeigt: die Situation in Syrien, die mehrere Fragen im Hinblick auf das europäische Rüstungsexportkontrollregime aufwirft. Mehr dazu in einem Hintergrund-Bericht im neuen Newsletter.
Außerdem im Newsletter: einige Anmerkungen zur Stationierung von Bundeswehreinheiten in der Türkei. – Aus Rüstungsexportpolitischer Perspektive. Und ein Bericht über die neuesten Geschäfts-“Erfolge“ von Heckler & Koch und dem leichten Maschinengewehr M27.
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DAKS-Newsletter April 2013
UNO hat Arms Trade Treaty beschlossen!
Nachdem noch die letzte Verhandlungskonferenz unter dem Dach der Vereinten Nationen im März am Veto von Iran, Syrien und Nordkorea gescheitert war, hat die UN-Generalversammlung nur wenige Tage später, am 2. April 2013, das seit Jahren verhandelte internationale Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels („Arms Trade Treaty“, kurz: „ATT“) mit 154 Ja-Stimmen, 3 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen beschlossen. Oxfam, Amnesty International und viele weitere internationale Nichtregierungsorganisationen haben sich seit 2003 in der globalen Kampagne „Control Arms“ intensiv dafür eingesetzt. Vertreter/innen der Kampagne sprachen in einer ersten Reaktion von einem historischen Durchbruch, da mit dem „ATT“ zum ersten Mal Transfers konventioneller Rüstungsgüter auf internationaler Ebene verbindlich kontrolliert und dabei die Menschenrechte im Zentrum stehen würden. Trotz teils erheblicher Mängel des neuen Kontrollinstruments würden die Vorteile überwiegen. Jetzt gehe es darum, das Abkommen möglichst rasch zu ratifizieren, vollständig umzusetzen und auch künftig weiter zu entwickeln.
Ausführliche Berichte und Kommentare zum Thema „Arms Trade Treaty“ folgen in der nächsten Ausgabe des Kleinwaffen-Newsletters.
Aktuelle Informationen im Internet:
NRO-Kampagnenbündnis „Control Arms“: www.controlarms.org
NRO-Projekt „Reaching Critical Will“:
http://reachingcriticalwill.org/disarmament-fora/att/negotiating-conference-ii
Zielscheibe Mensch: internationaler Kongress zu Kleinwaffen naht
Der Kongress „Zielscheibe Mensch“, der sich aus internationaler Perspektive mit den sozialen und gesundheitlichen Folgen des Kleinwaffenhandels beschäftigen wird, rückt näher. Vom 30. Mai bis zum 02. Juni 2013 wird mit dieser Konferenz in Villingen-Schwenningen eine bisher nicht dagewesene Ebene der Kleinwaffenkampagne erreicht: Der Vorbereitungsgruppe ist es gelungen, eine große Spannbreite von europäischen, afrikanischen und asiatischen ExpertInnen für die Veranstaltungen Ende Mai / Anfang Juni zu gewinnen. Diese ÄrztInnen, JournalistInnen und politischen Aktivisten werden zu ihren Fachthemen referieren und bieten die beste Gelegenheit, sich zum Thema Kleinwaffenexport und dessen Folgen auszutauschen – ebenso wie zu Forschungs- und Widerstandsmöglichkeiten! Wer noch nicht angemeldet ist, kann dies auf der offiziellen Internetseite tun, hier gibt es auch alle weiteren Informationen zum Programm und den ReferentInnen: www.zielscheibe-mensch.org
Im direkten Vorfeld des Kongresses wird es eine Fahrradtour geben, die vom Standort des Kleinwaffenproduzenten Walther (in Ulm) bis nach Villingen (also in die Nähe der Firma Heckler & Koch) führen wird. Die Tour dauert vom 26. bis zum 29. Mai, während dieser Tage werden Interviews geführt (auch mit PolitikerInnen vor Ort), öffentliche Aktionen durchgeführt und möglichst viele Informationen darüber weiterverbreitet, welche Auswirkungen der globale Waffenhandel für die Menschen hat. Wer Interesse an dieser Aktion hat, kann sich hier anmelden.
Syrien – Was hat die mögliche Bewaffnung der Rebellen mit dem EU-Binnenmarkt zu tun?
England und Frankreich wollen die Rebellen in Syrien künftig mit Waffen beliefern. Andere EU-Mitgliedsstaaten lehnen dies bisher ab und verweisen auf das derzeit noch geltende EU-Waffenembargo. Auffallend ist, dass in der laufenden Diskussion die Frage, ob überhaupt Waffen produziert und verkauft werden dürfen, überhaupt keine Rolle spielt. Die Entscheidung darüber, ob der Vorstoß Englands und Frankreichs positiv oder negativ zu bewerten sei, ist so aber weniger eine moralische Frage, sondern eine Frage politischen Kalküls.
Will man etwas kalkulieren, gilt es Vieles abzuwägen. Und einen Königsweg gibt es in der Regel nicht. Im Folgenden soll deshalb ein anderes Problemfeld aufgezeigt werden, auf das die derzeitige Debatte ebenfalls ein Schlaglicht wirft: Es gibt keinen gemeinsamen, europäischen Standard zum Rüstungsexport. Und wenn die derzeitige Diskussion über mögliche Waffenlieferungen an die Rebellen in Syrien etwas beweist, dann vor allem, welche Probleme aus diesem akuten Mangel erwachsen.
Aber der Reihe nach.
Vor zwei Jahren erreichte der Arabische Frühling Syrien. Seitdem herrscht dort ein Bürgerkrieg, der rasch eskaliert ist und dessen Intensität immer noch steigt. Die EU-Staaten reagierten prompt, wenn auch ganz anders als im Falle Libyens, und beschlossen, umfassende Wirtschaftssanktionen gegen Syrien einzuführen (vgl. Beschluss 2011/273/GASP vom 9. Mai 2011).
Anderthalb Jahre später – die Kämpfe dauerten an – beschlossen die EU-Staaten, die Samthandschuhe abzulegen und verhängten, anders als im Falle Libyens, noch weitergehende Wirtschaftssanktionen (vgl. Beschluss 2012/739/GASP vom 29. November 2012 in Verbindung mit Verordnung (EU) Nr. 36/2012 vom 18. Januar 2012). Die ohnmächtige Unschlüssigkeit der EU demonstrierte dann aber vor allem die am 15.Juni 2012 verabschiedete Verordnung (EU) Nr. 509/2012. Mit ihr werden Beschränkungen im Bereich des Finanzwesens eingeführt. Das wesentliche Novum dieses Dokuments besteht jedoch in der Verhängung eines Luxusgüterembargos gegen Syrien. Seitdem ist es z.B. nicht mehr erlaubt, teure Weine und Spirituosen (mit einem Wert von mehr als 50 Euro pro Liter) in das überwiegend islamisch geprägte Land zu verkaufen.
Und das EU-Waffenembargo? Das gibt es eigentlich gar nicht. Denn die Verhängung einer solchen Sanktion würde in die unveräußerlichen Souveranitätsrechte der Mitgliedstaaten eingreifen. Oder wie es Artikel 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der konsolidierten Fassung vom 30. März 2010 formuliert: „Jeder Mitgliedsstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen.“ Für ein EU-weites Waffenembargo lässt eine solche Garantie keinen Platz.
Wenn es dennoch so etwas wie ein EU-Waffenembargo gibt und das nicht nur konkret im Falle Syriens, sondern ganz allgemein, dann liegt das daran, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Außen- und Sicherheitspolitik koordinieren und aufeinander abstimmen. Im Falle Syriens geschah dies letztmalig mit Beschluss 2012/739/GASP vom 29. November 2012. In Artikel 1 Abs. 1 drücken die Mitgliedstaaten darin ihren Willen aus, künftig keine „Rüstungsgüter und dazugehörigen Güter aller Art“ mehr nach Syrien zu exportieren. Eingeschlossen sind explizit auch „Waffen und Munition, Militärfahrzeuge und -ausrüstung, paramilitärische Ausrüstung und entsprechende Ersatzteile, sowie von zu interner Repression verwendbare Ausrüstung“. Der Beschluss ist bindend, die Umsetzung in nationales Recht bleibt den Mitgliedstaaten gleichwohl selbst überlassen. Gewahrt bleibt dadurch ein Souveränitäts-Spielraum für das in dem genannten Artikel 346 festgeschriebene unveräußerliche Recht der Mitgliedstaaten, Waffen zu produzieren und zu verkaufen, an wen auch immer sie Waffen verkaufen wollen.
Im Fall Deutschlands wurde zur Umsetzung des EU-Beschlusses ein Gesetz durch den Bundestag verabschiedet. Eingefügt wurde dadurch ein Art. 69r in die Außenwirtschaftsverordnung. Der Artikel trägt den Titel „Beschränkungen auf Grund des Beschlusses 2012/739/GASP des Rates vom 29. November 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Syrien“. Und damit ist eigentlich alles gesagt, denn er zitiert im Wesentlichen Art. 1 des entsprechenden EU-Beschlusses.
Durch den Vorstoß Englands und Frankreichs, Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern wird nun endgültig deutlich, dass die vereinbarte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU kein Recht festschreibt, sondern eine konkurrierende Gesetzgebung einführt. Es ist sicher kein Zufall, dass Frankreichs Außenministers Laurent Fabius, als er in einem Interview für France Info von der Moderatorin Raphaëlle Duchemin gefragt wurde, wie Frankreich erwägen könne, Waffen nach Syrien zu verkaufen, wenn doch ein Embargo besteht, darauf hinwies: „La France est une nation souveraine, Madame.“ Soll heißen, Frankreich, ist, als eine souveräne Nation jederzeit berechtigt, Waffen an jeden zu liefern, an den es Waffen liefern möchte. Dies stellt natürlich einen impliziten, aber deutlichen Verweis auf Artikel 346 des EU-Vertrags dar. Der Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, wies dagegen in einem Interview gegenüberRadio Berlin-Brandenburgdarauf hin, dass die geltenden Bestimmungen zum Waffenembargo gegenüber Syrien erst vor kurzem überarbeitet und gemeinsam verabschiedet wurden: „Wenn dieser Beschluss nicht respektiert wird, dann ist das ein schwerer Schlag gegen eine gemeinsame Außenpolitik. Und es ist eine Trumpfkarte für jene, die immer auf die Uneinigkeit der Europäischen Union in kapitalen Fragen setzen.“ Seine Einschätzung ist sicherlich richtig. Genauso, wie diejenige von Laurent Fabius.
Es ist nicht das erste Mal, dass es zu einem solchen Konflikt kommt. Im Jahr 2007 z. B. verkaufte Frankreich Panzerfäuste des Typs Milan (aus deutsch-französischer Produktion) an das damals noch von Gaddafi regierte Libyen (vgl. DAKS-Newsletter 08/2009). Sicherlich sah der Verhaltenskodex der EU zum Rüstungsexport vor, dass Mitgliedstaaten, die Waffen verkaufen wollen, die humanitäre Situation im geplanten Empfängerland prüfen, bevor sie einen Export genehmigen. Andererseits war und ist Frankreich eine souveräne Nation und kann faktisch tun und lassen, was es will. Nach Beginn des Bürgerkriegs dann beschloss Frankreich, die libyschen Rebellen mit Waffenlieferungen zu unterstützen (vgl. etwa die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung). Ein UN- und EU-Waffenembargo stand dem zwar entgegen, aber schließlich ist Frankreich eine souveräne Nation und kann an jeden Waffen liefern, an den es Waffen liefern möchte.
Gewiss, es gibt gemeinsame Regeln innerhalb der EU, die gemeinsam von allen Mitgliedstaaten beschlossen werden. Regeln, durch die festgelegt werden soll, wann an wen Waffen verkauft werden dürfen und wann nicht. Aber wem nützt das, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht daran halten müssen.
Das Fehlen einer verbindlichen europäischen Rüstungsexportkontrolle wäre zu verkraften, wenn nicht die Regeln des EU-Binnenmarkts in den letzten Jahren auch auf den Rüstungsmarkt ausgeweitet worden wären. Durch Richtlinie 2009/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist aber just dies geschehen. Die Methode, durch die dieser Europäische Markt für Rüstungsgüter geschaffen worden ist, war sehr einfach: Ziel war und ist es, „die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten so anzugleichen, dass die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern vereinfacht und damit das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sichergestellt wird“ (vgl. die einleitenden Erwägungen Ziff. 6). Das Problem ist aber dann, dass es ausdrücklich nicht in der Intention des EU-Gesetzgebers liegt, das Ermessen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Politik der Ausfuhr von Verteidigungsgütern“ zu beeinträchtigen (vgl. die einleitenden Erwägungen Ziff. 7). Gemeint ist hiermit, dass es im Ermessen jedes Mitgliedstaates der EU bleiben soll, Waffen an jeden zu liefern, an den es das für opportun hält. So aber trägt die Erleichterung des innergemeinschaftlichen Waffenhandels nicht zu einer Verschärfung der Exportkontrolle bei.
Wie erwähnt, 2007 verkaufte Frankreich Panzerfäuste aus deutsch-französischer Produktion nach Libyen. Aus Sicht der deutschen Kontrolleure hat dieser Handel nie stattgefunden. Zwar wurden Panzerfäuste verkauft, aber nicht nach Libyen, sondern lediglich nach Frankreich. Ein rüstungsexportkontrollpolitisch völlig unbedenkliches Empfängerland.
Gewiss, es gibt gegenläufige Bemühungen. Neben der Erleichterung des innergemeinschaftlichen Handels mit Waffen sollen auch die Verordnungen und Vorschriften zum Export von Rüstungsgütern in Länder außerhalb der EU vereinheitlicht werden. Bereits im Jahr 2008 wurde in diesem Zusammenhang ein Gemeinsamer Standpunkt des Rates verabschiedet (2008/944/GASP), der entsprechende Standards zu etablieren bemüht ist. Allein, dies ändert nichts an den Realitäten: „La France est une nation souveraine, Madame.“
Bundeswehr-Einsatz in der Türkei
Was passiert in der Türkei? Im letzten Jahr ist das Land beinahe in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt worden. Daraufhin beschlossen die NATO-Staaten Flugabwehrraketen ins türkisch-syrische Grenzgebiet zu verlegen. Seit die entsprechenden Verbände – darunter zwei Patriot-Batterien aus Deutschland mit rund 400 Soldaten – dort eingetroffen sind, scheint es zu Schwierigkeiten mit der örtlichen Bevölkerung, aber auch im Zusammenspiel mit den türkischen Streitkräften zu kommen.
Ende Januar wurden Bundeswehr-Soldaten von Demonstranten in Iskenderun beschimpft und angegriffen. Nach dem Eintreffen am Stationierungsort in Kahramanmaras wurden umgehend Beschwerden laut, der sanitäre und bauliche Zustand der zugewiesenen Kaserne sei unzumutbar – weshalb die Soldaten zunächst in Hotels einquartiert wurden. Im Folgenden war es die Kommunikation mit den türkischen Gastgebern, die als schwierig kritisiert wurde. So soll ein Kontakt zwischen deutschen und türkischen Soldaten von türkischer Seite systematisch unterbunden worden sein. Schließlich sei deutschen Soldaten das Tragen von Waffen nur eingeschränkt erlaubt worden. Und schließlich ist es anlässlich des Besuchs von Verteidigungsminister de Maizière zu Tätlichkeiten zwischen deutschen und türkischen Soldaten gekommen. Die Klagen darüber haben ihren Weg bis in den Verteidigungsausschuss des Bundestags gefunden.
Die Süddeutsche Zeitung kann die Situation deuten und konstatiert, die „Truppe“ stehe in der Türkei unter einem „Kulturschock“. Oberst Marcus Ellermann, Kontingentführer der in der Türkei stationierten Patriot-Einheiten erläutert diese Einschätzung gegenüber der Süddeutschen dahingehend, dass die türkische Armee nun einmal „komplett anders organisiert“ sei als die Bundeswehr. Es stünde ihm aber nicht zu, von den türkischen Gastgebern zu verlangen „ihr müsst unser Konzept der inneren Führung übernehmen“. Gegenüber dem Bundeswehr-Sender „Radio Andernach“ kommt er zu dem Schluss: „Auftragstaktik, das ist etwas, was man hier nicht kennt.
Ob es wirklich allein kulturelle Unterschiede sind, die die nicht nur atmosphärischen Spannungen zwischen Bundeswehr und türkischer Armee ausgelöst haben, sei einmal dahingestellt. – Auffallend ist in jedem Fall, dass es, angefangen beim Dauerbrenner Doppelte Staatsbürgerschaft, über die Frage eines EU-Beitritts der Türkei, die Anschlagsserie der NSU bis hin zur Frage, wer das Kommando über die in der Türkei stationierten NATO-Truppen haben soll (dieser liegt nämlich nicht etwa bei einem türkischen General oder einem türkischen NATO-General, sondern bei dem US-Amerikaner Admiral James Stavridis) viele Konfliktfelder gibt. Soll heißen, es würde eigentlich völlig genügen, darauf hinzuweisen, dass die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei schon einmal besser gewesen sind. Ganz zu schweigen davon, dass die gegenseitige Wertschätzung in der öffentlichen Meinung höher sein könnte.
Stattdessen weisen deutsche Printmedien und deutsche Soldaten auf kulturelle Unterschiede hin. – Was die Spannungen nicht erklärt, sondern festschreibt und als gegeben darstellt. Das ist nicht nur unklug, sondern weist darüber hinaus darauf hin, welchen Tiefpunkt die gegenseitige Wertschätzung mittlerweile erreicht hat. Eine solche faktische Verunglimpfung der türkischen Gastgeber ist dann aber auch Zeichen einer kulturellen Amnesie unter der, wie es scheint, manche Medienvertreter und manche Angehörige der Bundeswehr leiden. Die Türkei ist seit 1952 Mitglied der NATO, die westdeutsche Bundesrepublik erst seit 1955. Seit zumindest 58 Jahren sind Bundeswehr und türkische Armee demnach NATO-Partnerarmeen. Seit 58 Jahren üben und trainieren die Soldaten beider Armeen gemeinsam, tauschen Offiziere zu Schulungszwecken miteinander aus, begegnen sich im Rahmen von NATO-Institutionen und Veranstaltungen – und erst jetzt, anlässlich eines kleinen, zeitlich kurz befristeten gemeinsamen Einsatzes fällt den deutschen Soldaten plötzlich auf, dass die beiden Armeen kulturell so völlig unterschiedlich sind. In jedem Fall sei die Bundeswehr aber besser, da sie ja über Innere Führung, also Auftragstaktik, verfüge.
Konsensthemen, so scheint es, gibt es dagegen wenige. Das einzig klar Erkennbare – aus deutscher Perspektive – sind die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, mit einer starken Säule auch im Bereich der Rüstungsindustrie. Dabei ist völlig klar: Die Türkei ist NATO-Partner, ein wichtiger Verbündeter, eine befreundete Nation etc.
Auftragstaktik hin oder her ist es aus Sicht der Bundesregierung also absolut plausibel, die Türkei bzw. die türkische Armee mit Waffen aller Art zu versorgen. Der Gesamtwert, der in den vergangenen zehn Jahren aus Deutschland in die Türkei exportierten Waffen erreicht ein Volumen von rund 1,7 Milliarden Euro. Wie diese Geschäfte verantwortet werden können, wenn die kulturellen Unterschiede zwischen Türken und Deutschen wirklich so unüberbrückbar groß sind, das bleibt das Geheimnis der Bundesregierung.
Vom G36 über das HK416 zum M27
Eine der Weiterentwicklungen des G36-Gewehrs, die tatsächlich auf den militärischen oder polizeilichen Markt kamen (und in veränderter Form als MR223 auch auf den zivilen Markt), ist das HK416-Schnellfeuergewehr. Nachdem es mit dem XM8 auf dem US-Markt nicht geklappt hat, scheint nun mit dem HK416 und seinen Folgemodellen „ein Treffer gelandet worden zu sein“. Diese Waffe verschießt dasselbe Kaliber wie ihr Vorgängermodell (5.56 x 45 mm NATO) und lässt sich auch gut als Anschlusswaffe an ein G36-Gewehr verwenden – oder einen M4-Karabiner von Colt. Für beide Waffentypen gibt es ja eine sehr lange Liste von Staaten und militärischen Gruppierungen, die als Benutzer genannt werden: Allein das G36 verwenden mittlerweile sicherlich drei Dutzend Regierungen und Regimes; die Liste zum M4 liest sich fast wie die Teilnehmerliste einer UN-Konferenz. Das HK416 kann mit wahrscheinlich 19 Nutzerstaaten langsam „aufholen“, immerhin setzen bereits einige Truppenteile der US-Regierung dieses Gewehr ein, die türkischen und norwegischen Streitkräfte haben es als Standardwaffe angenommen und bei verschiedenen asiatischen Armeen, wie etwa den Philippinen oder Indonesien, gibt es diese Waffe.
Nun sieht es so aus, dass die in den vergangenen Jahren in den USA durchgeführten Tests dazu führen, dass das US Marine Corps eine spezielle Variante des HK416 kaufen wird, das M27. Wir berichteten vor einigen Jahren über diese Pläne (siehe DAKS-Newsletter Februar 2010). Das als leichtes Maschinengewehr eingeplante M27 soll das bisher verwendete M249 (ursprünglich von der belgischen Waffenfirma FN Herstal) zum Teil ersetzen, 6500 Exemplare sind angeblich in der Verhandlung. Die neue Waffe habe zwar eine geringere Feuerkraft, sei aber im Häuserkampf leichter zu bewegen und zudem wohl auch schussgenauer, so die Meinungen von US-Militärs. Damit macht Heckler & Koch ein dickes Geschäft (Wikipedia gibt eine Gesamtmenge von 23,6 Millionen US-Dollar an), und es wird erneut eine Schusswaffe von dieser deutschen Firma bei einer US-Teilstreitkraft eingeführt. Und natürlich hoffen die Hersteller auf einen guten Werbeeffekt und weitere Käufe – auch wenn die US Army bisher einen Ankauf des M27 abgelehnt hat. Ein „toller“ Werbeträger für den Rest der Welt ist das USMC allemal… Das sieht man schon an der Präsentation des Waffendeals auf der US-Internetseite der Kriegsfirma (siehe dort die beiden Artikel von Juni und Oktober 2012).
Und ganz nebenbei macht das M27 Werbung für die stärkere Variante des HK416, nämlich das HK417 mit dem alten G3-Kaliber 7,62 x 51 mm NATO.
Fehlt nur noch ein attraktiver „Konflikt“ (soll heißen: Krieg), in dem man für die Waffenmessen Berichte über „erfolgreiche“ (Kill-)Einsätze mit diesen Waffen sammeln kann. Libyen und das G36 hat ja nur teilweise geklappt, aber China versus die Philippinen (jede Menge HK dort angesammelt, plus US-Truppen), Exporte an syrische „Rebellen“ oder einfach ein Krieg gegen den Iran könnten das ja erledigen.