DAKS-Newsletter November 2014 ist erschienen!

In Island wird es derzeit früh dunkel, die Menschen haben also viel Zeit um Zeitung zu lesen und sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Die Folgen sind bemerkenswert: der Versuch die isländische Polizei mit Maschinenpistolen auszurüsten und künftig so martialisch bewaffnet auf Streife zu schicken sind gescheitert, nachdem die Proteste gegen diese Pläne nicht aufhörten. – Mehr dazu im neuen Newsletter!

Außerdem: eine Einschätzung zum Urteil des Bundesgerichthofes zum Informationsrecht des Bundestages bei Waffenexporten; ein Bericht von Reinhard Voss, dem ehemaligen Generalsekretär von pax christi über seine Zeit in der DR Kongo; und eine weitere Folge über Graphic Novels und Krieg.

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Waffenhandel: Heftige Ohrfeige aus Karlsruhe für Bundesregierung

Presseerklärung von Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Informationsrecht des Bundestages bei Rüstungsexporten

Bisherige Praxis der Rüstungsexportkontrolle durch den Bundessicherheitsrat nicht verfassungskonform

Die Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel begrüßt ausdrücklich die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Organklage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Frage der Informationsrechte des Bundestages bei Rüstungsexporten.

„Die bisher jahrzehntelange Praxis in Deutschland, dass ein geheim tagender Regierungsausschuss – der sogenannte Bundessicherheitsrat – über die Genehmigung oder Versagung von Rüstungsexporten entscheidet, ist nach dem heutigen Urteil nicht mit der Verfassung vereinbar“, hebt Holger Rothbauer hervor. „Das Urteil stellt fest, dass grundsätzlich die Delegation der Entscheidung über Rüstungsexporte an einen Bundesminister zulässig ist, nicht jedoch an den Bundessicherheitsrat. Dies ist eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung aus Karlsruhe“, betont Rothbauer, der Rechtsanwalt der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und fordert: „Die Kanzlerin muss sofort Entscheidungen über Rüstungsexporte, z.B. an Saudi-Arabien, von der Tagesordnung des Bundessicherheitsrates nehmen.“

Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Auskunftserteilung der Abgeordneten gestärkt, ohne aber das Privileg der Rüstungsindustrie auf Geheimhaltung von Entscheidungsprozessen entscheidend zu beschneiden.

„Es ist ein kleiner erster Schritt zu mehr Transparenz beim Waffenhandel“, so Rothbauer, „dass die Bundesregierung ab sofort auf Anfrage eines Abgeordneten klar und sofort beantworten muss, ob eine Genehmigung für einen Waffenexport erteilt oder versagt wurde. Jetzt sind es die Abgeordneten der Öffentlichkeit schuldig, schnell und von sich aus nachzufragen!“

„Grundsätzlich ist das Recht auf Auskunftserteilung der Abgeordneten gestärkt worden, ohne aber das Privileg der Rüstungsindustrie auf Geheimhaltung von Entscheidungsprozessen entscheidend zugunsten der Regierungskontrolle zu beschneiden“, kommentiert Stephan Möhrle, Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner/innen (DFG-VK), der das Organklageverfahren in Karlsruhe begleitet hat.

„Mich bestärkt die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Einsatz für eine neue gesetzliche Grundlage. Der Deutsche Bundestag sollte nun aktiv werden und ein Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg bringen“, fordert Christine Hoffmann, pax christi-Generalsekretärin und Sprecherin der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“.

Die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ hat sich mit über 95.000 Unterschriften an den Deutschen Bundestag gewandt und für eine Änderung im Grundgesetz eingesetzt. Neu soll es in Artikel 26.2 GG heißen, dass Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter grundsätzlich nicht exportiert werden.

Ein für Rüstungskritiker missliebiger Richterspruch –

mit massiver Kritik an der bisher rechtswidrigen Exportpraxis der Bundesregierung

Ein rechtlicher Kommentar zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts

von Stephan Möhrle, Vertreter der DFG-VK im Kampagnenrat der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“

Das im Organklageverfahren ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21. Oktober 2014 befasste sich mit der Frage, wo die Grenzen der Informationsrechte für Bundestagsabgeordnete liegen. Geklagt hatten die Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul von Bündnis 90/Die Grünen, die sich 2011 im Fall drohender Exporte von Leopard-2-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien von der Bundesregierung nicht ausreichend in Kenntnis gesetzt sahen.

Bei der Verhandlung vor dem BVerfG am 15. April 2014 hatte MdB Ströbele die Argumente für deutlich mehr Transparenz und gegen die bisherige Geheimhaltungspraxis der Bundesregierung vorgetragen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte als Vertreter der Bundesregierung vor mehr Offenheit und Demokratisierung gewarnt, die Vertreter der Rüstungsindustrie und Lobbyverbandes BDSV massiv auf Beibehaltung der Geheimhaltung gedrängt.

Das nunmehr gefällte Urteil der Karlsruher Richter mag auf den ersten Blick missmutig stimmen und bietet tatsächlich Grund zur vehementen Kritik, mehr noch erzeugt es den fahlen Beigeschmack einer Niederlage für die Kläger. Dennoch darf das Urteil des BVerfG nicht ausschließlich negativ interpretiert werden.

Richtigerweise hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass „die Kontrollkompetenz des Bundestages […] sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge [erstreckt]“ [1]. Tatsache ist, dass dem Bundestag auf Grund des Wortlautes von Art. 26, Abs. 2, Grundgesetz (GG) keine Mitwirkung im Bereich der Genehmigung von zur Kriegsführung bestimmter Waffen und deren Inverkehrbringen eingeräumt wird. Dieses Genehmigungsmonopol liegt ausschließlich bei der Bundesregierung. Dem Bundestag erwächst hieraus keine Befugnis, sich in die laufenden Verhandlungen und die Entscheidungsvorbereitung der Bundesregierung einzumischen. Hier bestehen lediglich die allgemein zustehenden Kontrollbefugnisse der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung.

Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht richtiger Weise festgestellt, dass die Rüstungsexportkontrolle als Teilbereich des Regierungshandelns aufgrund ihrer außenpolitischen Bedeutung nicht von vornherein jeglicher parlamentarischer Kontrolle entzogen ist. Jedoch ist das Parlament in seiner Rolle als Gesetzgebungsorgan schon aus Gründen der Funktionszuweisung in diesem Bereich beschränkt. Eine uferlose Auslegung der Zustimmungs- und Mitwirkungsbefugnisse des Deutschen Bundestages würden die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung einschränken und damit der Gewaltenteilung von Exekutive und Legislative entgegen laufen. [2]

Darüber hinaus stellte das Gericht treffend fest, dass wesentliche Entscheidungen der Bundesregierung nicht am Bundestag vorbei getroffen werden können. Vielmehr ist auch die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung der parlamentarischen Kontrolle unterworfen. [3]

Die Rüstungsexportkontrolle als integraler Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik wird gemäß Art. 26, Abs. 2 Satz 1, GG der Zuständigkeit der Bundesregierung zugeordnet. Aber auch durch diese Zuordnung wird das Parlament nicht in seinem Kontrollrecht beschränkt. Hierbei ist zu unterscheiden, dass das Parlament keine Mitwirkungsmöglichkeit bei der Genehmigung oder dem Inverkehrbringen von Rüstungsgütern hat. Dies schränkt jedoch nicht die parlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung ein.

Weiterhin stellt das Gericht fest, dass die Beratung und Beschlussfassung im Bundessicherheitsrat dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung anheimfallen, wobei es den Bundessicherheitsrat als Kabinettsausschuss betrachtet. Ohne ausdrückliche verfassungsrechtliche Ermächtigung, so das Bundesverfassungsgericht, darf die Bundesregierung im Rahmen ihrer Organisation Kabinettsausschüsse bilden, welche gegenüber dem Regierungskollegium eine vorbereitende und beratende Funktion haben. Allerdings darf ein solcher Kabinettsausschuss kein eigenes Entscheidungsrecht ausüben. [4]

Nach bisheriger Praxis bereitete der Bundessicherheitsrat als Kabinettsausschuss die Entscheidung des Kabinetts (also der gesamten Bundesregierung) jedoch nicht vor, sondern wurde an dessen Stelle tätig. Es erfolgte nach der Befassung des Bundessicherheitsrates keine Entscheidung des gesamten Kabinetts. [5] Folgerichtig könnten sich die Beschlüsse des Bundessicherheitsrats zur Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffG) und dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) allein an die zuständigen Fachminister richten, sofern es eine Delegation der Entscheidung an diesen gegeben hätte. Dieser Fachminister hätte hernach die Genehmigung gegenüber dem antragstellenden Unternehmen zu erteilen. [6 ]

Gemäß Art. 26, Abs. 2 Satz 1, GG dürfen zur Kriegsführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt befördert und in Verkehr gebracht werden. Die Bundesregierung ist gemäß Art. 62 GG ein Kollegialorgan, das dem Bundeskanzler und den Bundesministern besteht. [7] Folgerichtig ist bei einer Entscheidung der Bundesregierung grundsätzlich davon auszugehen, dass es eines Beschlusses des gesamten Kabinetts bedarf. Nur ausnahmsweise könnten unter dem Begriff der Bundesregierung auch jeweils ressortzuständige Minister verstanden werden, wenn Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung eine solche Auslegung gebieten.

Das Gericht stellte hierzu fest, dass die Delegation der Genehmigungserteilung auf einzelne Minister nicht mit Art. 26, Abs. 2 Satz 1, GG vereinbar und in Konsequenz daraus § 11 Abs. 2 KrWaffG verfassungswidrig sei. [8]

Auch wenn die Entscheidung der Richter des Bundesverfassungsgerichts von Rüstungsexportkritiker/innen anders erhofft war, zwingt das Urteil die Bundesregierung immerhin ihre bislang nicht verfassungskonforme Praxis zu ändern.

Der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ bietet der Richterspruch zukünftig die Chance, der Bundesregierung – trotz der einer Entscheidung vorgelagerten Geheimhaltungsrechte – die Regierung in Erklärungsnot zu bringen. So muss die CDU/CSU/SPD-geführte Bundesregierung darlegen, weshalb ein entsprechendes Exportunterfangen so geheimhaltungswürdig ist. Schließlich gibt die Regierung vor, sie würde nur mit vertrauenswürdigen und verlässlichen Nato-Partnern kooperieren. Wir in der Aufschrei-Kampagne können bei zahlreichen Anlässen (bei Podiumsdiskussionen, Kundgebungen, Demonstrationen, in Pressemitteilungen u.v.a.m.) auf die Jahrzehnte währende rechtswidrige Vorgehensweise der Bundesregierung hinweisen, die kommende Rüstungsexportpraxis genauestens beobachten und neuerliche Exportgenehmigungen massiv kritisieren.

Die in diesem Organstreitverfahren behandelte Frage nach den Grenzen des Auskunfts- und der Kontrollrechte des Bundestages kann jedoch auf Dauer keinen politischen Prozess zur Frage mit dem Umgang von Rüstungsexporten in Anbetracht des Friedensgebotes des Grundgesetzes aus Art. 26 Abs. 1 ersetzen, sondern diesen nur begleiten.

Anmerkungen:

Alle Randnummern beziehen sich auf das Urteil in der Sache 2 BvE 5/11.

[1] Rn. 138

[2] Rn. 139

[3] Rn. 140

[4] Rn. 143

[5] Rn. 143

[6] Rn. 145

[7] Vgl. Art. 62 GG u. Rn. 145

[8] Rn. 147

Stephan Möhrle ist Vertreter der DFG-VK im Trägerkreis der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Mitglied im DFG-VK-Landesvorstand Baden-Württemberg und Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.) mit Sitz in Freiburg

Für Rückfragen: Stephan Möhrle, Tel. 015222 636 531, E-Mail: Moehrle@dfg-vk.de

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Ergänzungen der DAKS-Redaktion:

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts und der Wortlaut des Urteils

Kommentar von Otfried Nassauer bei „Streitkräfte und Strategien“ (zu finden u. a. bei BITS): „Alles wie gehabt? Rüstungsexporte nach dem Urteil aus Karlsruhe“

Der Deutschlandfunk berichtet unter der Überschrift „Zwischen wirtschaftlichen Interessen und moralischen Ansprüchen“ über Rüstungsproduktion und -export.

Keine Waffen für Islands Polizei

Vor knapp einem Jahr, am 2. Dezember 2013 erschoss eine Spezialeinheit der isländischen Polizei in Reykjavik einen Menschen und das war ein Novum in der jüngeren Geschichte Islands. Die isländische Polizei ist sonst sonst vor allem für ihre absolute Bürgernähe bekannt, die von der Polizei über Instagram dokumentiert wird. Sieht man sie in diesem Zusammenhang vor allem mit kleinen Kätzchen und Kindern posieren, so tauchen Kleinwaffen dabei nicht auf. Das hat Gründe, schließlich stehen den Beamten zwar Pistolen des österreichischen Herstellers Glock zur Verfügung, diese nehmen sie jedoch nicht mit auf Streife, sondern deponieren diese in den Polizeidienststellen. Trotzdem gibt es nun Gerüchte, laut denen die Polizisten künftig bewaffnet auf Streife gehen sollen. Die fraglichen Waffen – 250 Heckler & Koch Maschinenpistolen des Typs MP5 – wurden durch das norwegische Militär zur Verfügung gestellt. Die genauen Hintergründe über die Waffenbeschaffung sind unklar und so erstaunt es nicht, dass das es Proteste gibt. Der Bürgermeister von Reykjavik hat erklärt, er wolle nicht, dass die Polizei bewaffnet wird und via Facebook hat sich die Bürgerbewegung „Skilum byssunum“ (deutsch etwa: „auf Pistolen verzichten“) formiert. Diese hat mittlerweile knapp 9000 Unterstützer gewonnen, und repräsentiert damit rund 3% der isländischen Bevölkerung.

Zum Unmut der Bevölkerung hat beigetragen, dass Sinn und Zweck dieser für isländische Verhältnisse massiven Aufrüstung unklar ist. Hinzu kommt, dass weder die genauen Stückzahlen der Waffen noch die geplanten End-Empfänger bekannt sind und selbst die Frage, ob die Waffen etwas gekostet haben, nicht beantwortet wurde. Ursprünglich war behauptet worden, die Maschinenpistolen seien von der norwegischen Armee ausgemustert und als Geschenk an die isländischen Behörden übergeben worden. Dann wurde erklärt, dass ein Vertrag existiert, der eine Kaufsumme von 11,5 Millionen isländischen Kronen (umgerechnet etwa 75.000 Euro) für die Waffen festhält. Dieser Vertrag sei am 17. Dezember 2013 unterschrieben worden, also knapp zwei Wochen, nachdem erstmals ein Mensch in Island durch Schüsse von Polizisten getötet worden war.

Als Reaktion auf die Proteste hat die isländische Küstenwache nun angekündigt, die bestellten Waffen an Norwegen zurückgeben zu wollen. Sollte sich diese Information bewahrheiten, wäre dies ein hervorragendes Ergebnis der zivilgesellschaftlichen Proteste. Allein, derzeit ist noch unklar, ob diese Nachricht stimmt bzw. auf welche Waffen sich dies bezieht, sprich, ob tatsächlich alle Maschinenpistolen an Norwegen zurückgegeben werden oder ob die isländische Polizei weiter auf eine Bewaffnung mit diesen Waffen besteht.

Heckler & Koch und das Spiel mit der Insolvenz

Der Waffenhersteller Heckler & Koch hat keine Insolvenz angemeldet. Am 17. November 2014 hat das Ratingunternehmen Moody’s einen Kurz-Kommentar veröffentlicht, dass es wahrscheinlich sei, dass Heckler & Koch die am 15. November fällig gewordene Zinszahlung in Höhe von 30 Millionen Euro leisten können wird. Der gleichen Meldung zufolge bleibt die Finanzstruktur jedoch grundsätzlich so problematisch, dass eine Anhebung des Ratings nicht erwogen wird. Auch der Einschätzung eines insgesamt negativen Gesamttrends wird nicht widersprochen. Wie es Heckler & Koch gelang, die Finanzmittel aufzubringen, ist völlig unbekannt.

Unter diesen Umständen scheint es angebracht, die Zeit nicht mit Spekulationen zu verbringen, sondern den Blick auf die nun anstehenden Termine zu richten. So wird am 1. Dezember 2014 vor dem Landesarbeitsgericht in Freiburg i.Brsg. eine Verhandlung stattfinden, in der die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung zweier Mitarbeiter von Heckler & Koch verhandelt wird. Das Verfahren ist im Zusammenhang mit dem mutmaßlich illegalen Export von G36-Schnellfeuergewehren nach Mexiko von Relevanz. Heckler & Koch war in erster Instanz unterlegen. Ein zweiter Termin ist mit dem 15. Mai 2015 gegeben, denn an diesem Datum ist die nächste Zinszahlung fällig.

Als Friedensfachkraft in der DR Kongo – eine Bilanz von Reinhard Voss

Reinhard Voss, ehemaliger Generalsekretär der deutschen Sektion von Pax Christi war von 2010 bis 2014 als Berater der Katholischen Kirche für Zivile Konfliktbearbeitung bei der Kommision Justitia et Pax in Kinshasa / DR Kongo tätig. Über seine Arbeit hat er ein Tagebuch geführt, das über die Website der Pax Christi Bistumsstelle Paderborn einsehbar ist. Für den DAKS-Newsletter hat Reinhard Voss nun eine Art Résumé seiner Arbeit gezogen und ein vorhandenes Interview aktualisiert.

Ein aktuell gebliebenes Interview, das nach einem halben Jahr Aufenthalt im Kongo im Frühsommer 2011 per E-Mail geführt wurde, aber nie wie vorgesehen im „Sauerlandkurier“ erschien. Ich habe es jetzt ergänzt nach 4 1/2 Jahren. Michaela Rickerts Fragen von damals können uns durchaus in der Bilanz leiten.

Sauerlandkurier: Wie sieht ihre Arbeit bisher aus? Und wie bewerten Sie diese?

Durch meinen abwechslungsreichen Lebenslauf und natürlich meine Studienausbildung decke ich gleich mehrere Felder ab (Geschichte, Sprachen, Pädagogik, Theologie) und kann so Informationsquelle, Anreger, Autor für Teilaspekte bei Broschüren und Büchern sein. Auch als persönlicher Berater für pädagogische, theologisch-pastorale und gesellschaftspolitische Fragen. Es ist ganz gut angelaufen und ich habe als erstes ein Buch von 130 Seiten auf Französisch zusammen gestellt; da geht es um eine am Evangelium orientierte „aktive Gewaltfreiheit“, was eine Basis meiner künftigen landesweiten Fortbildungs-Arbeit sein wird. Bisher bin ich bin ganz zufrieden. Aber auch gespannt, ob mein Fahrer Recht hat, wenn er sagt, ich könnte noch viel anregen und bewegen in den drei Jahren. Ja, sagte ich, aber in aller Bescheidenheit: Das fand er gerade gut.

In der Tat hat sich manches sehr schön entwickelt, besonders eben die Seminarreihe zur biblischen Gewaltfreiheit, basierend auf meinen beiden Büchern, die 2011/12 erstellt und in drei Auflagen erschienen sind, zuletzt unterstützt durch Misereor (für nochmals 2000 Exemplare zu den ersten 2000). Auch die vielen Übersetzungen und Berichte nach Deutschland entsprechen meinen Plänen, und ich hoffe auch, den Erwartungen der LeserInnen. Ich hätte gern mehr Erfolge in und um Goma gesehen, wo wir ein Gemeinwesen-Projekt beantragt hatten; das aber wegen der kriegerischen Verzögerungen bis heute nicht in Gang gekommen ist. Ich tröste mich und die Freunde dort mit einem Wort von Martin Buber: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“ Wir haben uns bemüht und tun dies weiter; und hatten kleine technische, aber große „menschliche“ Erfolge!

Sauerlandkurier: Sie sind insgesamt 3 Jahre in Afrika. Welche Projekte und Aufgaben stehen an?

Gerade haben wir die erste Halbjahresbilanz mit meiner deutschen Trägerorganisation, der „Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe“ (Köln), gezogen und nun für die drei Jahre drei Schwerpunkte festgelegt: Zunächst bereiten wir seit Monaten ein Projekt im Nordkivu (Goma) vor, einer der östlichen Provinzen an der Grenze nach Uganda und Ruanda, 2000 km von der Hauptstadt hier entfernt, nur per Flugzeug über den Urwald hinweg erreichbar: Ermutigung und wirtschaftliche Stärkung der Bevölkerung unter Nachkriegsbedingungen und teilweise noch Rebellenpräsenz; das heißt konkret: Alphabetisierung, Kurse für Gewaltfreiheit und Organisation kultureller und sportlicher Ereignisse zur Gemeinschaftsförderung, Kreditvermittlung, Stärkung von Kleingewerbe und Handel sowie Wiederherstellung von Straßen. Das alles im Umfeld von 50-100 km der Provinzhauptstadt Goma, die bekannt geworden ist durch den Vulkanausbruch vor gut zehn Jahren. Die Folgen sind noch überall sichtbar sind; erst jetzt wird der Flugplatz von der Lava befreit und vergrößert. Ich hoffe auf eine Förderung von Misereor. Zweitens: Ein ganz neuer Ansatz der Stärkung der sog. mittleren Ebene der „Multiplikatoren“ in allen sechs Kirchenprovinzen des Landes im Sinne der „aktiven Gewaltfreiheit“, die gesucht und gebraucht wird und zu der ich viel an Erfahrung beisteuern kann. Und drittens: Viel Übersetzungsarbeit hiesiger kirchlicher Dokumente und Stellungnahmen, um die Demokratische Republik Kongo in Deutschland bekannter zu machen und auch die Informationsarbeit über Internet zu verbessern. Wahrlich ein anspruchsvolles Programm, aber man muss sich viel vornehmen, um einiges zu erreichen, besonders hier, wo vieles langsamer und oft umständlicher geht. Hinzu gekommen ist noch die Kooperation mit der katholischen Schulkommission und erste Ansätze und Anfänge im Gefängnisbereich und bei der Polizei (besseren Umgang und Fairness trainieren).

Sauerlandkurier: Wie sehr unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen in Afrika von Deutschland?

Oh, das ist wirklich eine wichtige Frage. Gerade hat eine Kollegin in Westafrika, die mit uns ausreiste, deswegen schon nach wenigen Monaten das Handtuch geworfen und ist zurück nach Deutschland gegangen. Sie hatte wohl klare Aufträge und schnelle Erfolge gesucht. Ich habe das Glück, im Team eingebunden zu sein, aber doch sehr selbst bestimmt arbeiten zu können. Das verschiedene Zeit- und Teamverständnis ist schon schwierig. Ich habe gelernt zu warten – so monatelang auf Genehmigung und Druck „meiner“ Broschüre, oder tagelang auf unser Umzugs-Gepäck und später mehrfach auf einen Platz im Flugzeug. Es nervt mich allerdings immer noch und ich tröste mich mit dem Satz: „Ihr Europäer habt die Uhr, wir Afrikaner haben die Zeit!“ Man muss halt sehr flexibel sein.

Nach dem ersten schwierigen halben Jahr ist es mit der Integration immer besser und leichter geworden. Durchhalten hilft! Und es sind freundschaftliche Beziehungen unter Kollegen gewachsen, die sich auch in Privatbesuchen zeigten bei mehreren Familien der Kollegen zuhause. Bei einem bin ich sogar Pate eines kleinen Jungen geworden: Etienne Pascal, gerade drei geworden. Und fast alle haben davon profitiert, dass es einen kleinen Solidaritätsfonds von uns gab, der aber restlos erschöpft ist: für Medikamente, Hausschäden, Fortbildung, Umzug etc.

Sauerlandkurier: Seit vielen Monaten arbeiten Sie nicht nur in Afrika, sondern leben dort auch mit ihrer Frau Margret. Die Lebensumstände, das Klima, die Sprache und vieles mehr sind dort ganz anders. Wie haben Sie sich eingelebt? Wie war die erste Zeit für Sie und ihre Frau?

Die erste Zeit muss man einfach überstehen, alles ist neu und „anders“. Nie aufregen und rumschreien, egal, was passiert! Es war monatelang so, dass sich eine Liste unerledigter Dinge auftürmte, die sich ständig neu auffüllte, aber mit Geduld schafft man auch das. Drei Monate bei der dritten Wohnung bis zum Mietvertrag, noch mehr für den Kooperationsvertrag, zwei Monate für das Visum, das dann aber auf fünf Jahre gilt! Der dreifache Wohnungswechsel war zwingend, da wir jeweils zu viele Mängel hatten und jetzt in einem Neubau in der Innenstadt besser aufgehoben sind. Aber es galt alles für die dritte Wohnung an Möbeln von Schreinern machen zu lassen, die in einem anderen Stadtteil direkt an der Straße entlang ihre Miniwerkstätten als Genossenschaft haben; auch da verhandeln, warten, schlucken, drohen, sich freuen, sogar danken … Das Problem sind die zunächst 2-bis 3-fach überhöhten Preise für Weiße; aber meine Frau ist zur Verhandlungskünstlerin geworden. Dann die täglichen Versorgungsprobleme (wie Strom und Wasser) selbst in diesem bevorzugten Stadtteil, wo die Mieten höher sind als in Frankfurt oder München! Manchmal hatten wir das biblische Gefühl der „sieben Plagen“, aber wir lernten: jeden Tag eine böse und gute Überraschung annehmen. Nicht zu sprechen von den Malariamücken, den Straßenwasserpfützen von bis 20-40 cm Tiefe und ganzen Straßenseen nach den tropischen Regengüssen, die jede Kanalisation überfordern … Wir leben hier sozusagen hinter Stacheldraht (bei uns NATO-Draht) auf der langen Umzäunungsmauer, was man in Deutschland nur von Hochsicherheitstrakten kennt. Die Diebstahlgefahr bei den riesigen Unterschieden ist zu groß. So muss man immer auf der Hut sein, eher beim Einkaufen nachrechnen lernen, mit drei Währungen leben: Dollar, Euro und Franc Congolais. Man wird als Weißer ständig beobachtet und ist so auch gefährdet; wir lernten deshalb, nie feste und berechenbare Gewohnheiten in der Öffentlichkeit zu praktizieren. Und sich eher mit dem Auto als zu Fuß zu bewegen, außer im direkten Umfeld, wo man bekannt ist bei den Hauswächtern, die vor fast jedem Haus sitzen! Andererseits kann man direkt bei den Straßenhändler-innen das Nötigste einkaufen. Besonders durch Margrets Kontakte zur evangelischen Kirche kennt sie mehr als ich die teils armseligen anderen Stadtteile dieser kriegsgeschädigten, fast zehn Millionen zählenden Metropole, der drittgrößten Stadt Afrikas. Sprachen lernen wir beide nebenher, sie Französisch und ich Lingala. (Ich habe das leider nicht weiter geführt, weil ich es bei meiner Zielgruppe nicht brauchte und weil ich kongoweit vier Sprachen hätte lernen müssen. So habe ich von meinem ersten Buch eine kleine Sammlung wesentlicher Anregungen in die vier Sprachen Lingala, Kikongo, Swahili und Chiluba übersetzen lassen.) Schließlich und nicht zuletzt gilt es, das 30plus-Klima ertragen zu lernen. Linderung geben die Klimaanlagen und die etwas „kältere“ Trockenzeit von Juni bis August (25-30 Grad). Ab 25 Grad abwärts frieren die Einheimischen und wir beginnen uns wohl zu fühlen; dann sind wir auch ziemlich allein im kleinen nahen Schwimmbad. Dieses kleine Bad mit 25 m Länge und seinen Bäumen hat uns als Ersatzgarten gedient und wir hatten eine Dauerkarte.

Sauerlandkurier: Wo sehen Sie sich und ihre Arbeit in drei Jahren?

Ich hoffe, einige der drei beschriebenen Ziele erreicht zu haben und danach noch als Berichterstatter in Deutschland und vielleicht gelegentlicher Berater in Afrika gefragt zu sein. Unser Visum gilt immerhin für fünf Jahre.

Ich stelle fest, dass mehr erreicht wurde als gedacht, dass nach einem Jahr die Vertrauensebene für mehr eigenständige Arbeit geschaffen war und dass auch viele Bischöfe diese Impulse schätzten. Wir gehen etwas müde, aber sehr dankbar zurück und freuen uns besonders auf unsere große Familie, die Ökumenische Gemeinschaft in Wethen/Germete, auf frische Luft, Waldwanderungen und lange autofreie Fahrradwege; auf Ausruhen, auf Arbeiten und Ernten in Garten und Haus, auf Nach-denken und inneres Verarbeiten für neue Schritte im Dritten Lebensalter, das für mich jetzt bald mit dem 65. Geburtstag am 27.7.2014 beginnt.

Neue grafische Literatur über Krieg, Teil 3

Nachdem in den letzten Newsletter-Ausgaben zwei „graphic novels“ über den Afghanistankrieg besprochen wurden, soll es nun um die Frage gehen, wie andere Autoren sich mit dem Thema Krieg (kritisch) auseinandergesetzt haben. Am auffälligsten für den deutschen Kontext ist dabei der Band „Im Westen nichts Neues – nach dem Roman von Erich Maria Remarque“ von Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel (1964 bzw. 1961 geboren). Dieser Band ist im Splitter-Verlag erschienen und stellt eine grafische Umsetzung von Remarques Bestseller dar. Es wurden Szenen aus dem Roman ausgewählt und mit teils neuartigen Bildern und Motiven, teils mit Zitaten anderer Kriegsdarstellungen – etwa den Pferden in Picassos „Guernica“ oder einem der verstümmelten Gesichter aus Ernst Friedrichs „Krieg dem Kriege“ – bildlich umgesetzt. Genau genommen handelt es sich bei diesem Band weniger um einen Comic als um eine illustrierte Romangestaltung.

Beim Lesen grafischer Literatur, auch hier bei Eickmeyer und von Borstel, fällt sofort auf, dass nun die Worte des Autors mit Bildern ausgedrückt oder ergänzt werden, dass aber im Unterschied zu den allseits bekannten Verfilmungen dieses Romans Geräusche und Stimmen fehlen (und damit auch der Lärm einer Schlacht). Meiner Ansicht kann dies aber von großem Vorteil sein, weil Autor und LeserInnen dadurch gar nicht erst in Versuchung kommen, das Kampfgeschehen realistisch nachzuzeichnen, wie es in vielen „modernen“ Spielfilmen mit Hilfe von allerlei digitaler Tricktechnik geschieht. Das Medium „Comic“ hat den Vorteil, dass es zwar Bilder gibt, aber die Lesenden weiterhin, wie bei Literatur eben, ihren Beitrag zur Rezeption leisten müssen – durch das Sich-vorstellen der Situation und das Sich-hinein-denken und -fühlen. Unterhaltung, wie sie bei „harten“, aber angenehm zu sehenden Filmen wie Spielbergs und Hanks „Band of Brothers“ oder Fjodor Bondartschuks 3D-Film „Stalingrad“ erzeugt wird, sieht anders aus.

Zusätzlich wirkt Eickmeyers Zeichenstil einer einfachen Aufnahme der Geschichte und der Ereignisse entgegen. Der Band enthält Szenen, die das Grauen des Kampfes zeigen, etwa, wenn sich in einer riesenhaften Darstellung einer Pupille die Körper der im Handgemenge kämpfenden Soldaten spiegeln – ein Stillleben und eine Momentaufnahme von großer Eindringlichkeit. Ebenso verhält es sich mit Bildern von zerrisssenen Körpern, die in Bäume geschleudert wurden, und auch mit dem sich verändernden, dünner werdenden Gesicht des sterbenden Soldaten Franz Kemmerich, das in drei „Aufnahmen“ gezeigt wird. Beeindruckend ist auch die im Bild sichtbare Weitergabe der Stiefel dieses Soldaten, die den neuen Trägern ja nicht mehr Glück bringen wird. Verwunderlich eigentlich, dass jene Szene nicht aufgenommen wurde, in der nur noch zwei abgerissene Hände im Stacheldraht eines so genannten Spanischen Reiters hängen bleiben.

Dieser Band reiht sich in die neue Sichtweisen bietenden Publikationen ein, die im Gedenkjahr 2014 zu Remarques Werk erschienen, darunter die Neuedition der ersten Ausgabe von „Im Westen nichts Neues“ durch Thomas F. Schneider, der dort wie hier ein wichtiges Nachwort beisteuert.

Der französische Zeichner Jacques Tardi (1946 geboren) ist mit einigen Bänden über den Ersten Weltkrieg berühmt geworden, etwa „Grabenkrieg“ (ursprünglich 1993, erste deutsche Ausgabe 2002 und gerade neu aufgelegt) und „Soldat Varlot“ (2001, französisches Original 1999). Bereits im letzten Jahr gab es von Tardi eine für deutsche LeserInnen neue Publikation zum Thema Krieg, nämlich die gemeinsam mit dem Historiker Jean-Pierre Verney erstellte und bei der Edition Moderne mit Sitz in Zürich erschienene Chronik „Elender Krieg. 1914-1919“. Dabei handelt es sich um die von Martin Budde vorgenommene deutsche Übersetzung des 2008/2009 bei Castermann in Brüssel erschienenen „Putain de guerre!“ bzw. um eine zeichnerische Schilderung aller Kriegsjahre und der direkten Nachkriegszeit, noch ergänzt durch einen langen historischen Überblickstext. Wie üblich spart Tardi nicht mit grässlichen Details und auch die in seinen vorigen Werken zum Thema Stellungskrieg zu findende Verzweiflungshaltung ist in den Bildern und Szenen deutlich spürbar. Ebenso deutlich ist seine Kritik am Militarismus und am Profitdenken der Kriegsgewinnler, aber auch an der Blindheit des „kleinen Mannes“, der den Krieg weiter mit- und dadurch möglich macht. Tardi zeigt die Brutalität der Menschen und ihre Opferrolle gleichermaßen. Durch die Chronik wird noch einmal bewusst, wie lange der Krieg geführt wurde und welche Veränderungen bzw. „Erfindungen“ in der Zerstörungstechnik er mit sich brachte. Die LeserInnen mögen beim von Tardi gezeigten Fatalismus und bei der Schilderung von Kriegswaffen nicht immer zustimmen, seine Werke aber bleiben eine beeindruckende bildliche Kriegsdarstellung. (Übrigens finden sich auch in Tardis Band die von Ernst Friedrich gezeigten verstümmelten Gesichter, jene als „ gueules cassées“ bezeichneten Kriegsopfer.)

Von dem in Malta geborenen US-Amerikaner Joe Sacco (1960 geboren), der sich vor allem mit gezeichnetem Journalismus bzw. mit Comic-Reportagen einen Namen gemacht hat, ist im letzten Jahr ebenfalls ein Werk über den Ersten Weltkrieg herausgekommen, und kein kleines. Mehrere Meter lässt sich sein Panorama der Front und der Etappe ausklappen, so dass allein die materielle Gestaltung sehr beeindruckend ist (Titel: „The Great War: July 1, 1916: The First Day of the Battle of the Somme“). Sprechen will ich aber über Saccos Band „Safe Area Goražde“, dessen erste Ausgabe im Jahr 2000 herauskam. 2010 erschien es – von Christoph Schuler ins Deutsche übersetzt – unter dem Titel „Bosnien“ (ebenfalls bei der Edition Moderne).

Die Interviews, die Sacco für diesen Band mit in der ostbosnischen Stadt eingeschlossenen Menschen geführt hat, seine Berichte über das Leben (und Leiden) der Bevölkerung im Krieg sowie seine eigenen Erlebnisse in der Zeit nach den Kampfgeschehnissen orientieren sich immer direkt an den Menschen, die an der Front gelebt haben. Gewaltschilderungen, genauer gesagt brutale Exzesse und Genozid, werden schonungslos beschrieben und im Bild gezeigt. Dass Sacco dabei lediglich für die (muslimisch-)bosnischen Figuren seiner Geschichte Partei ergreift, ist nicht zu befürchten, denn immer wieder kommen serbische Menschen vor, die ebenfalls mit Empathie gezeichnet werden.

Der Autor – er selbst sieht seine Texte und Bilder wohl nicht als objektiv an, sondern als eine bzw. seine Sichtweise – bleibt sehr realistisch, was die Kriegsentwicklung und die Schilderung der im Krieg lebenden Menschen angeht. Humanität ist das Thema, und angesichts der krassen Zerstörung eines zivilen, friedlichen Lebens wird eben auch ihre Zerstörung besprochen. Der Blick auf den Krieg ist, bedingt durch die Perspektive der belagerten und beschossenen Menschen, kein durchgehend pazifistischer. Doch neben den Kampfbeschreibungen und der damit zusammen­hängenden Rechtfertigung von Waffengewalt steht keinerlei Glorifizierung oder Verharmlosung – im Gegenteil wird erkennbar, wie die Gewalt auf unsichtbare Weise die sozialen Verbindungen inner- und außerhalb der Gruppe der Bewohner in Goražde und Umgebung verändert, verhindert und auch zerstört. Ein Zitat von Sacco macht sehr treffend deutlich, was die LeserInnen in dem Band finden: „Ich will, dass die Leser diese Menschen nicht nur als Opfer kennen lernen, sondern als Individuen.“ Zusätzlich zeigt er die Täter in ungeschönter Weise, Täter zudem, die nicht selten mit Handfeuerwaffen morden und hierbei ihren Opfern sehr nah kommen – und doch keine menschliche Verbindung zu ihnen mehr zu spüren scheinen.

Obwohl es sich bei den drei angesprochenen Werken um Darstellungen unterschiedlicher Kriege und Kriegsparteien handelt, haben sie gemeinsam, dass sie das Leiden der Menschen zeigen, die im Krieg leben (müssen) – immer wieder auch mit Widersprüchen und keinesfalls in Schwarzweiß-Malerei. Remarques Soldaten halten weiter aus, ebenso jene bei Tardi, sie sehen sich in einer Maschinerie gefangen. Saccos Menschen, hier im nachgezeichneten Interview dargestellt, sehen militärische Maßnahmen durchaus als sinnvoll an und können doch in vielen Fällen nur abwarten und hinnehmen, welche furchtbaren Dinge um sie herum und mit ihnen passieren.

Keiner der Autoren hat an dem jeweiligen Krieg als Soldat teilgenommen. Sacco ist immerhin Zeitgenosse der Geschehnisse und auch ein Augenzeuge der Kriegsfolgen, Tardi sowie Eickmeyer und von Borstel bearbeiten das Thema aus der Distanz (Remarque allerdings war kurzzeitig Soldat).

Obwohl in beiden hier beschriebenen Kriegen ein großer Teil der Opfer durch Artilleriewaffen getötet wurde, ist der Einsatz von Schusswaffen, also Kleinwaffen, ein bedeutender Aspekt, der den alltäglichen Krieg, die Zerstörung des Zusammenlebens und die Feindschaft der „einfachen“ Menschen entscheidend mitbestimmt. Dies zeigen diese drei Werke der grafischen Literatur deutlich. Sie lassen sich als kritische und wache Lektüre über Krieg bestens empfehlen.

Zum Schluss ein Buchtipp aus der nahen Vergangenheit: Von Wolfgang Wimmer (Text) und Tschap (Zeichnungen) gibt es aus dem Jahr 1984 einen Rowohlt-Band, der sich zwar eher an junge LeserInnen richtet, aber durchaus helle Einsichten über Atomkrieg, „konventionelle“ Kriege und Waffenproduktion liefert: „Rüstung – vom Anfang der Erde bis zum möglichen Ende“. Dort heißt es (am Beispiel eines kritischen Blicks auf den Trojanischen Krieg) aus dem Mund eines kaltblütig seinen Profit planenden Waffenhändlers: „Ja, so eine Rüstung hält manche Schlacht aus, der der drinsteckt, meistens nur eine.“ Und die auch bei heutigen Waffenfirmen „beliebte“ Belieferung beider Kampfparteien wird salopp angesprochen: „Hoppla, nicht drängeln! Wir haben genug Waffen für alle! Griechen rechts anstellen, Trojaner links!!“ Auf die Frage, wer gewinnen wird, antwortet ein Waffenhändler ehrlich: „Auf alle Fälle wir! Alles, was wir sind und haben, sind und haben wir durch den Krieg, mein Lieber!“ – Der Band ist u. a. in der Universitätsbibliothek Freiburg, genauer im Präsenzbestand des dortigen RüstungsInformationsBüros (RIB) und auch in der Universitätsbibliothek Erfurt zu finden (und antiquarisch zu erwerben). Und ein Zitat aus diesem Buch („Helden kurbeln das Geschäft an.“) eignet sich als Kommentar zum neuen „Wald der Erinnerung“ in Potsdam.

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