Völkerrecht auch bei Rüstungsexporten beachten!

Klares Exportverbot ins Rüstungsexportkontrollgesetz!

Rede von Jürgen Grässlin,

Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros anlässlich der Kunstaktion „Deutschlands größte Waffenkammer“ am 27. Februar 2022 vor dem Deutschen Bundestag.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

während wir uns hier vor dem Bundestag zusammengefunden haben, verletzen russische Soldaten das Völkerrecht mit ihrem Angriffskrieg gegen den souveränen Staat Ukraine. Im Auftrag des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin töten sie Menschen – Militärs und Zivilisten, Frauen, Männer und Kinder.

Damit bricht Russland fundamental mit der Charta der Vereinten Nationen. Dort heißt es in Artikel 2.4: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“[1]

Bis vor zwei Tagen hat die Bundesregierung dem international immens hohen Druck standgehalten, Kriegswaffen an die Regierung von Wolodymyr Selenskyj zu liefern. Mehrere Nichtregierungsorganisationen und die Aufschrei-Kampagne haben die  Bundesregierung in einem Offenen Brief bestärkt, an dieser Position festzuhalten.

Topaktuelle Meldungen besagen jedoch, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung nunmehr die Niederlande ermächtigt haben, 400 Panzerfäuste aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern, um den Kampf gegen die russischen Angreifer zu unterstützen. Zudem sollen 14 gepanzerte Fahrzeuge ausgeführt werden. Aus den Beständen der Bundeswehr werden die ukrainischen Streitkräfte mit weiteren 1.000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen des Typs „Stinger“ unterstützt.[2]

Wir warnen vor einem Trugschluss: Jede vermeintliche Defensivwaffe kann auch offensiv eingesetzt werden! Defensivwaffen gibt es nicht! Und wir befürchten, dass dieser neuerliche Rüstungsexport in einen Krieg hinein als Blaupause missbraucht wird, um auch zukünftig Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete zu genehmigen.

>> Die Aktion Aufschrei lehnt den Export von Kriegswaffen in Kriegs- und Krisengebiete ab!

>> Wir fordern Bundeskanzler Scholz und die Bundesregierung auf: Nutzen Sie den historischen Völkerrechtsbruch Russlands keinesfalls als Türöffner für kommende Rüstungsexporte in Krisen- und Krisengebiete!

Liebe Friedensfreundinnen und -friedensfreunde, wir haben uns heute vor dem Deutschen Bundestag versammelt, um gemeinsam die Kunstaktion „Deutschlands größte Waffenkammer“ durchzuführen.

>> Unser Dank gilt den Studierenden der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim unter der Leitung von Mathias Rebmann, die die interaktive Kunstaktion für diesen Tag entwickelt haben.

Mit dieser Kunstaktion machen wir auch darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung in den vergangenen Jahren das – in diesen Tagen so viel beschworene – Völkerrecht vielfach selbst nicht beachtet hat.

Bis zuletzt wurden in der Ära der vormaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel milliardenschwere Rüstungsexportgenehmigungen in Länder erteilt, die das Völkerrecht massiv missachteten und Menschenrechte schwer verletzten – und dies bis heute tun:

Ägypten, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate brachen und brechen das Waffenembargo gegen Libyen, sie erhielten dennoch Kriegswaffen aus Deutschland.

  • Die VAE und Saudi-Arabien verstießen und verstoßen massiv gegen das humanitäre Völkerrecht im Jemen, wo sie Krieg gegen die Huthi-Rebellen führen – dennoch erhielten sie Kriegswaffen bzw. deren Bestandteile aus Deutschland.
  • Die Türkei verletzt fortwährend die territoriale Integrität von Syrien und Irak durch militärische Interventionen gegen Kurdinnen und Kurden. Sie bricht damit Völkerrecht. Dennoch erhielt und erhält die Türkei Kriegswaffen und Rüstungsgüter aus Deutschland.

>> Dass die Regierung Merkel all diese völkerrechtswidrig agierenden Länder mit Kriegswaffen hochgerüstet hat, ist ein Skandal!

  • Die Bundesregierung verfügt über Besitzanteile an der Hensoldt AG. Deren südafrikanisches Tochterunternehmen rüstet türkische Drohnen mit Zielerfassungssystemen aus, die seitens des Regimes Recep Erdoğan u.a. völkerrechtswidrig in Syrien und Irak eingesetzt werden.
  • Mit „Deutschlands größter Waffenkammer“ verweisen wir auch auf eine zweite Beteiligung des Bundes: die am Luftfahrtkonzern Airbus N.V. Der Airbus-Konzern versorgt seit Langem – und wohlgemerkt mit Zustimmung der Bundesregierung – Tornado- und Eurofighter-Kampfflugzeuge in Saudi-Arabien mit Ersatzteilen. Mit diesen Kampfjets wurden und werden sowohl militärische als auch zivile Ziele im Jemen bombardiert.

>> Dass die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel diese Exporte genehmigt bzw. nichts gegen die Geschäftspraktiken von Airbus und Hensoldt unternommen hat, ist ein weiterer Skandal!

Mehr noch: Die Bundesregierung hat mit ihrer Rüstungsexportpolitik auch den 2013 unterzeichneten Arms Trade Treaty, den ATT, verletzt. Mit dem ATT-Vertrag hat sich Deutschland zur Einhaltung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts bei Rüstungsexporten verpflichtet.

Laut ATT bewertet jeder waffenexportierende Staat die Möglichkeit, inwiefern die von ihm gelieferten Waffen dazu verwendet werden könnten, eine kriminelle Handlung vorzunehmen. Wenn eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts droht, darf nicht exportiert werden.[3]

Und der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union aus dem Jahr 2008 verpflichtet in Kriterium 2 zur „Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland“. Nach Kriterium 6 muss das Verhalten des Käuferlandes u.a. bzgl. „der Einhaltung des Völkerrechts“ eines Empfängerlandes beachtet werden.[4] Genau das ist im Fall von Saudi-Arabien, den VAE, Ägypten und Türkei nicht geschehen.

>> Wir fordern die Bundesregierung auf, die Wahrung des Völkerrechts nicht nur von Russland zu verlangen, sondern bei Rüstungsexporten auch selbst zu praktizieren. >> Und wir fordern die Bundesregierung auf, den ATT-Vertrag sowie den Gemeinsamen Standpunkt der EU einzuhalten!

Wo Krieg ist, finden sich auch die Profiteure der Abschreckung, der Intervention, des Mordens. Einmal mehr zynisch ist die Entwicklung zeitgleich zum Krieg in der Ukraine. So berichtete das Finanzmagazin Finanztreff: „Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat am Donnerstag die Aktienmärkte in die Knie gezwungen, bei den Rüstungsherstellern aber für kräftige Kursgewinne gesorgt.“[5]

Entgegen dem allgemeinen Kursverfall profitierten die Händler des Todes vom Krieg in der Ukraine: Die Aktie von Krauss Maffei-Wegmann stieg innerhalb eines einzigen Tages um 3,6 %, die von  Hensoldt um 5,1 %, Airbus um 6,5 % und Rheinmetall um 7,0 %.

>> Schande über alle Profiteure der Kriege – über die Rüstungsmanager und über die Rüstungsaktionäre!

Der Zwang zum Handeln ist groß. Im Jahr 2021 genehmigte die alte Bundesregierung Rüstungsexporte im Volumen von 9,35 Mrd. Euro bei Einzelausfuhren – das ist ein neuer Negativrekord! Wir von der ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘ fordern die neue Bundesregierung deshalb auf:

>> Erheben Sie die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte zum uneingeschränkten Maßstab Ihrer Rüstungsexportpolitik!

Rüstungsexporte in diese Staaten müssen per Gesetz rechtsverbindlich und einklagbar verboten werden. Unsere zentrale Forderung lautet deshalb hier in Berlin, direkt vor dem Deutschen Bundestag und dem Bundeskanzleramt:

>> Schaffen Sie ein neues Rüstungsexportkontrollgesetz mit klaren Exportverboten und einem Verbandsklagerecht!

Vielen Dank.

Quellen

[1]: „Die Charta der Vereinten Nationen“, siehe https://unric.org/de/charta/

[2]: „Deutschland genehmigt Panzerfaust-Lieferungen an die Ukraine“ in SPIEGEL online vom 26.02.2022 und „Deutschland liefert Waffen aus Bundeswehrbeständen an Ukraine“ in gmx.net vom 26.02.2022

[3]: „Vertrag über den Waffenhandel“, ATT, siehe www.bundesanzeiger-verlag.de

[4]: „Gemeinsamer Standpunkt der Europäischen Union (EU) für Rüstungsexporte“, siehe https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m3/articles/eu-common-position-on-arms-exports

[5]: https://www.finanztreff.de/news/aktien-im-fokus-anleger-setzen-auf-hoehere-ruestungsausgaben/27991400. Die Kursangaben zu den vier genannten Rüstungsunternehmen beziehen sich auf den 25.02.2022.

Jürgen Grässlin

ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) mit dem GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE. Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Grässlin wurde mit bislang zehn Preisen für Frieden, Zivilcourage, Medienarbeit und Menschenrechte ausgezeichnet.

Kontakt: Tel.: 0049-761-7678208, Mob.: 0049-170-6113759

E-Mail: jg@rib-ev.de, graesslin@dfg-vk.de

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